Ich habe Füße
und Schulter! Von den kleinen Schmerzen wie etwa Waden, Oberschenkel, Hüfte, Arme,
Hände und was sonst noch an Muskeln, Knochen und Sehnen in mir ist, will ich
gar nicht erst reden.
Wir essen gerade
zu Abend und am Nachbartisch sitzt Schnabbel in männlicher Ausführung. Also bei
Allem Verständnis - wer weiß wo das Kamerateam gerade ist – wir müssen ja nicht
alle lieben. So wie der seine Umwelt kommandiert, übersteigt das jede
Toleranzschwelle.
Die erste Muschel, die wir
sahen, musste gleich fotografiert werden – auch wenn es nur ein Mülleimer in
Form der Jakobsmuschel war.
Die Wegweiser –gelbe Pfeile -
waren unübersehbar; an einem fanden wir auch einen Zettel für Monika aus
Feiburg und wir ließen uns begeistert aus, welche Geschichte wohl dahinter
steckte.
Eigentlich
hatte ich mir vorgestellt, dass wir auch alleine laufen würden, aber wir waren
so voll mit Geschichten, dass wir permanent redeten und lachten. Und
zwischendurch einfach nur die Natur genossen.
Die Landschaft erinnert mehr an Deutschland, als ich das
angenommen hatte. Die Eichenwälder und die Feldern sind wie zu Hause, jedoch die
kleinen Höfe mit ihren Häusern sind einfach nur anders und wunderschön in ihrer
Einfachheit. Stellenweise scheinen nur Steine übereinander geschichtet worden
zu sein.
Die Wege bergauf sind einfach mörderisch und Doreen nimmt
sie mit einem Schwung, dass ich sie einfach beneide. Aber die kleine Asiatin,
die wir überholen scheint genauso ausgelaugt wie ich.

Dann erzählt sie weiter von ihrem Arzt und so wie so und
überhaupt… die Frau ist nicht zu stoppen.
Dann liegen wir endlich im Bett. Ich bin mir nicht sicher,
ob ich morgen da wieder raus komme. Aber erst mal liegen ist schön.
Und jetzt stelle ich auch fest, dass wir nicht in einem
Fünferzimmer liegen, sondern dass hier sieben Betten stehen. Unter Gelächter
quetsche ich raus, dass wir die Sache mit dem Zählen doch noch mal üben müssen,
weil Doreen jedem - per SMS oder am
Telefon erzählt hat, wie wären in einem Fünferzimmer – ich habe ihr auch
geglaubt.
Doreen hat ihre Probleme mit dem Aufstieg – sie wollte ja
unbedingt oben schlafen – weil sie sich gerade eingecremt hat und nun ein wenig
auf der Leiter abrutscht. Aber sie schafft es doch und wir können schlafen. Aber weit gefehlt, wir
kriegen erst mal den totalen Lachkrampf. Das Bett ist 30cm von der Wand
weggeschoben und sie befürchtet, dass sie einfach runterfällt. Darum legt sie
ihren Reiseführer und den Sprachführer hin und meint: „Wenn die kommen, dann falle ich gleich hinterher
und du musst mich auffangen.“ Das alles bringt sie nur unter ständigem Gelache
hervor und ich antworte genauso quietschend vor lachen, dass ich das wohl gar
nicht merken werde, weil ich totenähnlich schlafen werde.
Nachdem dieser totale Lachanfall vorbei ist, beschließen wir
spanisch zu lernen und fangen schon mal mit den Himmelrichtungen an. Wer weiß,
wann man die noch mal brauchen wird. Auch die Farben sind nicht schwer: Blanco – ich trinke gern Weißwein und negro- kann man eigentlich nicht
vergessen, selbst marron bleibt mir
im Gedächtnis. Irgendwann schlafen wir einfach ein.
03.07.07
Ich erwache, weil die blöden deutschen Pilger packen.
Ich hasse sie und habe den Eindruck, dass es noch nicht mal
richtig hell ist draußen. Haben die eigentlich den gesamten Bestand der
Plastetüten Spaniens dabei? So wie das raschelt auf jeden Fall. Klar, wie
wir gelernt haben, kann es durchaus sinnvoll sein zum Plastiktütensammler zu
werden. Zumindest, wenn man Autofahren nicht verträgt, so wie Doreen. Da hätten
wir gerne Plastetüten gehabt. Aber das hier? Das sind die Momente, wo ich mir
vorstellen könnte, einfach mal andere Menschen anzuschreien und wüst zu beschimpfen. Nie wieder eine Sammelunterkunft!!
Irgendwann sind sie endlich raus, aber mit dem Schlaf ist es
echt vorbei, also raffeln wir uns auf. Tatsächlich kann ich stehen, ich kann
scheinbar auch laufen, ich habe nicht mal Muskelkater, was ich aber meinen
Magnesium Tabletten zuschreibe.
Wir sind schneller und effektiver beim Packen – also
jedenfalls ich - als die Plastiktütensammler. Doreen ist ehr gemütlich, ich
will los.
Wir sitzen beim Frühstück – schon wieder nur Süßkram – da
kommt. Heidi. Eigentlich freuen wir uns, sie zu sehen. Es ist schön zu merken,
dass man nicht alleine ist, dass man jemanden kennt. Wir zahlen für die
Übernachtung und das Frühstück 21 Euro. Der muß sich verrechnet haben, dass
kann doch nun wirklich nicht sein. Aber es ist so. Ich liebe diesen Weg!
Wir laufen los, sicherheitshalber nehmen wir uns noch eine
Briese Zeckenschutz – man weiß ja nie. Aber Heidi hat gleich die passenden
Einwürfe.
Es geht über eine kleine romantische Brücke und schon jammert
sie, wir sollen doch bitte nicht so schnell laufen, sie habe Knie. Aber ich
erwäge zu gestehen, dass ich nur jetzt schnell laufen kann, und später der
Jammerlappen werde und dass ich meine Energie jetzt nutzen muß. Wir traben dahin und Doreen quält sich mit
dem Rucksack. . es ist nicht nur das Gewicht, sondern auch noch eine
Sonnenbrand, den
wir uns gestern geholt
haben. Und das Gewicht auf dem Sonnenbrand – das braucht keine weiteren Worte
mehr. Sicherheitshalber haben wir darum heute auch T-Schirts angezogen.
Wir bewundern die Natur, die Blumen und Bäume und Heidi hat
sicher den Eindruck, wir wären die Profi
– Gärtner. Aber es ist unglaublich schön und wir sehen keinen Grund, all den
kleinen Naturwundern vorbeizurennen. Wir haben doch Zeit.
Dann hat sie die fantastische Idee die Rucksäcke richtig
einzustellen- wir ahnungslosen wußten ja nicht, dass man die auch
verstellen kann. Aber jetzt gehrt es wesentlich besser. Dann beginnt es zu
regnen. Nicht so richtig große Tropfen, die einen zum aufgeben zwingen, nein,
kleiner gemeines feiner Regen. Wir ziehen den Regenschutz über die Rucksäcke
und ziehen uns auch Jacken an. Mir wird klar, dass meinen Jacke nicht im
geringsten Regentauglich ist. Aber wer konnte auch mit Regen rechnen, mit
Dauerregen?
Wir machen immer mal Pause und
Heidi redet unentwegt. Kann die auch mal still sein. Wir sitzen mitten am Weg
und essen Riegel – auch für die Nerven. Ich kann weder den Gestank aus den
Hühnerfarm richtig in mich aufnehmen, doch die Porzellanfabrik eingehend
studieren – Heidi sabbelt immerzu. Ich will einen Knebel!
Im Stillen hoffe ich, Doreen nervt es genauso wie mich. Aber
sie hört aufmerksam zu und treibt Konversation, dass es mir den Neid ins
Gesicht treibt. Wenn mich jemand nervt, dann sage ich das auch gerne mal laut
und deutlich. Oder besser noch, ich strafe ihn mit Ignoranz.
Es ist Mittag und wir sind fast komplett aufgeweicht. Wir
können nur anhalten und hoffen, dass es aufhört. Sicherheitshalber hat Heidi
schon mal „Liebe Sonne" gesungen. Mir bleibt wirklich nichts erspart, denke
ich, während sie anschließend auch noch ein spanisches Freiheitslied aus
tiefster DDR Zeit anstimmt.
Die Kneipe ist voll- die anderen Pilger haben auch die Nase
voll vom Regen und an der Bar ist
einfach kein Platz mehr. Also suchen wir einen Tisch. Der Kellner – einer von
der absolut unfreundlichen Sorte, fragt „Menu“ und Doreen meinte die Karte
bestellt zu haben, aber wir bekommen wieder unsere drei Gänge. Heidi ist aufs
äußerste schockiert. So viel Geld - immerhin 8€!
Mir ist das aber egal, sitzen ist schön. Und meine Füße schmerzen
erbärmlich .Und wenn ich daran denke, dass noch 16 km vor mir liegen, baut mich
das nicht gerade auf und ich überlege, wie ich das überstehen soll.
Aber mein Optimismus kehrt mit jedem Gang zurück, bis ich
feststelle, dass meine ISO Matte weg ist. Das gibt mir schon zu denken, aber
Doreen meint, dass Käthe die Sache immer so sieht, dass sie wohl ein anderer
nötiger gebraucht hätte, was sicher stimmt und wenn ich bedenke, dass ich nun
ein paar Gramm weniger tragen muß, kann ich wohl einschätzen, dass ich über den
Verlust hinwegkommen werde. Ich finde es nur witzig, dass wir das beide nicht
bemerkt haben.
Und hier gibt es auch wieder Stempel. Seit wir gestern
entdeckt haben, dass es nicht nur in den Alberguen
Stempel gibt, und nicht nur in Hotels, sondern auch in den kleinen Bars und
Kneipen, sind wir voller Hoffnung, dass unser Pilgerpass am Ende nicht ganz so
erbärmlich aussehen wird.
Bei der Gelegenheit lernen wir Keith kennen. Ein total
ausflippter Typ – zumindest macht er diesen Eindruck: grauhaarig mit gefundenem
Hund – so eine Art Daisy, den er Sanjo getauft hat. Er ist Engländer.
Am Nebentisch sitzen drei andere Pilger und als sie
aufstehen, leide ich buchstäblich mit, zeige auf ihre Füße und mache ein
schmerzverzogenes Gesicht. Sie denken sicher, wir seien Engländer, weil wir es
gar nicht erst mit deutsch probiert haben. Versteht hier so wie so kein Mensch!
Es sind Franzosen und ich bin mir sicher, dass es Vater und
Sohn und eine Frau die wir nicht so richtig zuordnen können. Auf jeden Fall leiden
sie mehr als wir – ein schönes Bild – kann einen aufbauen!
Heidi ist immer noch schockiert, von der Höhe der Rechnung-
jetzt muß sie wegen uns auch noch Geld holen. Ich bin fast bereit, ein
Stoßgebet loszulassen, aber vielleicht ist das meine persönlich
Toleranzprüfung. Und da will ich dann doch nicht versagen.
Wir raffen uns auf – dass Essen war echt göttlich. Die
können Suppen kochen, dass habe ich wirklich noch nicht erlebt (vielleicht in
Österreich letztes Jahr, aber die hier sind trotzdem Spitze).
Es regnet immer noch und Heidi fängt wieder an zu singen.
Aber mit vollem Magen ist das nicht mehr so schlimm. Die Franzosen schleichen
sich auch davon – gegen die bin ich richtig gut zu Fuß!!
Wir laufen und laufen und nehmen die Natur nur noch nebenbei
wahr – der Regen und Heidi tun ihr übriges.
Dann halte ich es kaum noch aus – ich muß mal. Aber bei
dem Naß von oben möchte ich jetzt bitte ein geschlossenes Häuschen.
Da steht ein Mann an
der Straße – wo kommt der eigentlich so plötzlich her - und will uns
überzeugen, in seine Garage zu kommen – es sieht übel aus. Aber egal wie
übel – ich muß jetzt, egal wo. Wir betreten also sein „Heiligtum“ und es ist
einfach gigantisch. Glen Miller empfängt uns und wir sind einfach nur hin und
weg. Er ist Amerikaner – aus Texas und ich kann mir nicht verkeneifen zu
rufen „J.R.“. er lacht und wir fühlen und sofort wohl – vor allem nachdem ich
seine äußerst gepflegte Toilette besucht habe. Er ist vor einem halben Jahr
nach Spanien gekommen, um die Pilger bei ihrem Weg zu unterstützen.
Manchmal täuscht eben doch der erst Eindruck!

Es ist absolut lustig, wir trinken Kaffee und lachen und
versuchen zu reden und dann kommen auch noch unsere drei Franzosen. Wir winken
sie rein und auch sie fühlen sich gleich wohl Wir kommen ins mehr oder weniger
schleppende Gespräch, aber wir sind alle gleichermaßen fertig und glücklich.
Doreen tanzt noch Swing mit dem Texaner – ein herrliches
Bild: laufen können wir nicht mehr, dann tanzen wir eben. Auch der Texaner ist
begeistert von uns und bittet uns noch um ein gemeinsames Foto- ich hätte es
auch gern!
Das hat aufgebaut,
ich lasse vor Freude gleich meinen Pilgerstab liegen, merke es jedoch recht
schnell und renn zurück. Ja, ich renne. Der Aufenthalt hat gutgetan – das steht
fest.
Wir laufen inzwischen auf einer Straße und durchqueren
Ortschaften – falls man das so nennen kann. Heidi war hinter uns abgefallen –
wir liefen einen Berg hinab und sie hatte wieder Knie – als ein Hund beschloß,
mit uns zu laufen. Wir zwangen uns, ihn nicht anzusprechen, oder auf ihn
einzugehen. Heidi hatte uns erzählt – eine ihrer tausend Geschichten, dass
einer über etliche Kilometer mit ihr gelaufen wäre, weil sie ihn angesprochen
hatte – und der arme Köter pendelte nun zwischen uns und Heidi und wir
ignorierten ihn. Da kam uns eine andere Wanderer entgegen und sprach ihn an.
Na, der hatte den wohl jetzt ewig am Hals – so wie wir Heidi.
Doreen nervte es genauso und wir überlegten schon mal, ob
auf dem Camino vielleicht auch Menschen verschwinden – so wie meine ISO Matte –
und haben schon mal nach einem passenden Versteck Ausschau gehalten. Und wir
sahen einige.
Heidi hatte sich gedacht, dass sie mit uns bis Santiago
laufen kann. Aber das überstehen wir beide keinesfalls – wir wollten doch nicht
gleich eine feste Beziehung eingehen.
Später sehen wir auch drei junge Mädchen – keine Ahnung wie
alt. Aber sie haben gleich ihre Namen weg. Eine trug eine Araberhose und die
andere eine blaue Kniebandage und die dritte war einfach nur dabei. Wir
lächelten uns an und sie hatten ihre Namen weg: Araberhose und Kniebandage.
Irgendwie ist es komisch. Man kannte sich nicht, aber das Hola und Buen Camino
verbindet so unheimlich. Man hat Schmerzen und die Augen strahlen vor Glück.
Was ist das nur??
Inzwischen waren wir total abgekämpft, durchnässt und
komplett genervt von Heidi. Wir mussten sie loswerden und die Sache mit dem
verschwinden lassen erschien uns nicht mehr ganz so ideal. So faßten wir den
Plan, sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen: ihrem Geiz. Wir kamen in Palas de Rei an und verkündeten, dass
wir auf jeden Fall in ein Hotel wollen –mit Fön!! Aber nicht mit Heidi. Da
machte sie nun wirklich nicht mit. Wir
ließen sie zurück in der Albergue –
ein Blick in eine Turnhalle, die als solches diente genügte uns, um zu wissen,
dass wir das eigentlich nicht wollen – und zogen weiter, uns ein Zimmer mit Fön
zu suchen. Egal was, aber auf jeden Fall ohne Heidi und ohne irgendjemand sonst
– nur wir zwei (Sie hatte doch tatsächlich überlegt, ob es da eine Aufbettung
geben könnte).
Wir kamen an einer Kirche vorbei und es zog uns regelrecht
hinein. Im Inneren brannten unendlich viele Kerzen und wir genossen die Ruhe
und den Frieden.
Das erste Hotel war ausgebucht. Vor dem Hoteleingang stand
eine von den „Light -Pilgern“ - die Sorte Pilger, die ohne Gepäck wandern. Die
nette Frau meinte, wir könnten ja bei ihr duschen, falls wir keine warme Dusche
finden würden. Aber wir fanden eine –
das Zimmer hatte sogar Heizung. Doreens Turnschuhe waren inzwischen komplett
durchgeweicht, so dass es immer Pflatsch, pflatsch machte, wenn sie lief. Wir
duschten und zogen uns Trocken an und es war einfach nur schön. Wie wenig der
Mensch doch braucht, um rund um glücklich zu sein!
Dann wuschen wir unsere Wäsche. Immerhin hatten wir eine gut
funktionierende Heizung und waren voller Optimismus, alles trocknen zu können.
Doreen lagerte sicherheitshalber gleich mal ein paar
Kleiderbügel aus einem anderen Zimmer in unser Zimmer um – bei uns hatte man
die einfach vergessen.
Vor unserem Zimmer kam plötzlich Bewegung auf. Es rollte ein
Trauerzug mit gleich zwei Fahrzeugen heran.
Wir mutmaßten schon mal, dass es sich ohne Zweifel um eine
Liebestragödie handeln musste. Der Kreuzträger, der zu beginn des Zuges lief,
lächelte uns an. So was, wie konnte der denn lächeln, das war doch wohl eine
traurige Angelegenheit, aber Doreen hatte vergessen, ihre Bluse zu schließen.
Und das war wohl sehr einladend. Nachdem wir das bemerkt hatten, zogen wir uns
diskret zurück und unterhielten uns über bisher erlebte Trauerfeiern und mußten
beide zugeben, dass wir da immer lachen mußten. Es war einfach zu blöd: ich
weiß, dass man das nicht macht und doch passiert es eben. Ich hoffe, auf meiner
Trauerfeier geht es mal lustig zu.
Wir beschließen dann doch unsere Unterkunft zu verlassen und
nach essbarem zu suchen, auch wenn wir heute schon so verschwenderisch waren
und für 8 Euro gegessen haben. Wir finden eine nette kleine Tapas Bar und beschließen hier zu
bleiben. Laufen und suchen geht auf
keinen Fall.
Und wieder kriegen wir eine ganze Flasche Wein. Ich hatte
wirklich nicht damit gerechnet, hier dem Alkoholgenuß zu frönen, aber in
Spanien scheint das wohl ein Grundnahrungsmittel zu sein. Am Nebentische sitzen
drei Italiener und ich lasse mich begeisert über den einen aus – der hat Augen
wie Richard Gere und da bin ich wirklich anfällig. Zwei Männer und eine Frau,
wie die wohl zusammengehören, philosophieren wir noch vor uns hin, als sich
Richard über unseren Tisch hinweg mit zwei Engländern unterhält. Es ist ein
lustiges treiben. Die Engländer am Nebentisch haben sich ein Merkwürdiges Menü
bestellt und ich kann es mir nicht verkneifen zu fragen, was das wohl ist – Tintenfisch,
eine galisische Spezialität. Muß man unbedingt probiert haben. Na da bin ich
aber froh, dass wir schon fertig sind – ich hätte es wirklich gerne probiert.
Aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Dann kommt wieder Keith mit Sanjo und wir
umarmen uns. Nicht dass wir viel miteinander gesprochen hätten, aber das ist
hier alles anders. Sieht man sich einmal, ist man glücklich, sich wieder zu
treffen.
Wie wir gemerkt haben, gibt es hier auch einen Stempel, also
springt Doreen gleich los und versaut den natürlich wieder in meinem
Pilgerpass. Mehr zu mir, als zu ihr und eigentlich auch nur nebenher geplappert
sage ich: „Na das war ja wieder klar, wieder in meinem versaut.“
Der Satz ist noch nicht raus, da lacht sie so sehr, dass ich
wirklich um ihr Leben fürchte. Sie findet es zu lustig wie ich dahocke und mich
wie ein kleines Kind beschwere.
Wir beschließen, die Stadt zu erkunden, aber aussichtslos.
Unsere Füße zwingen uns geradezu den Weg ins Hotel zu nehmen. Vor dem
Einschlafen erliegen wir wieder Lachsalven – es ist herrlich. Wir erweitern
auch unseren spanischen Sprachwortschatz – um Wochentage. Bestimmt auch etwas,
was man nie braucht.
04.07.07
Es gibt eigentlich nicht genug Worte für meine Schmerzen,
zumindest beschreibt dieses Wort es nicht mal andeutungsweise, aber „No pain
- no glorry!“
Ich liege auf dem Bett, Doreen duscht und mir laufen die
Tränen nur so übers Gesicht. Das wäre fast schon peinlich, wenn ich nicht genau
wüsste, dass jeder auf dem Camino einmal heult und heute bin ich eben dran.
Die Eindrücke, das Glücksgefühl in mir, die Schmerzen –
einfach alles kommt zusammen.
Heute früh haben wir uns extra nicht vor 8.00 Uhr aus dem
Hotel getraut, weil wir es unbedingt vermeiden wollten, Heidi in die Arme zu
laufen.
Unsere Sachen waren natürlich nicht trocken und Doreen nahm
gleich mal einen Kleiderbügel mit, um die Sachen unterwegs zu trocknen. Wir
wollten ihn ja nicht klauen, wir würden ihn ins nächste Hotel „umlagern“. Aber
die Schuhe waren wenigstens trocken – aus Ermangelung an Zeitungspapier, hatte
sie sie mit Klohpapier vollgestopft.
Komisch, bisher wollte noch niemand einen Ausweis sehen
(abgesehen von dem Hotel in Sarria),
wenn wir die Zimmer buchten, oder das Geld im Voraus – wir sehen wohl sehr
vertrauensselig aus.
Aus unserem Sprachführer hatten wir gelernt, „wenn der
Spanier frühstücken will, geht er in eine Tapas
Bar“
Wir gingen in die Gleiche wie am Abend zuvor, war ja nicht
so schlecht dort. Die drei Italiener waren auch wieder da.
Das Frühstück war eine Herausforderung an das Gebiß – nie
vorher habe ich so krossen Toast gegessen. Und natürlich nur Süßes. Wir spähten
immer mal nach draußen, nicht dass Heidi uns ausfindig macht. Aber keine Spur
von ihr. Sicher war sie schon im Morgengrauen aufgebrochen.
Doreen beschloß heute Obsttag zu machen. Das ist ja nun gar
nicht mein Ding und ich beschwichtigte sie, bloß nicht so viel zu kaufen –
schließlich müssen wir alles schleppen.
Araberhose und Kniebandage ziehen vorbei und wir lächelten –
auf dem Camino geht eben doch keiner verloren.
Nachdem wir endlich die Richtung gefunden hatten – die
„Light Pilger“- weisen ihn uns,
schlenderten wir durch die Landschaft und genießen es einfach nur. Der kurze Abstecher entlang einer vielbefahren Landstraße kann uns die gute Laune nicht nehmen
Wir können wieder frei laufen und die Gedanken sind frei.
Und wen wir alles dabei hatten: unsere Kollegen, Freunde,
Kunden, Kindheitserlebnisse und stellen irgendwann fest, dass wir schon jede
Menge miteinander erlebt hatten. Komisch, es war mir nie so bewusst. Manchmal
sahen wir uns ja Monate nicht und
trotzdem stand da eine herrliche Auswahl an Erinnerungen zur Verfügung: vom
Teppichverlegen mit Fred, über den Ungarn Urlaub, von der Frau vom Mieterbund,
oder Doreens Fahrstunden im A6…
Doreen meinte, Karo gebe immer zu bedenken, dass sie lieber
keine Geschichte erzählen solle, weil sie so
mehr der poentenlose Erzähler wäre. Als sie mir erzählte, dass Nat als
Kind nie gewusst habe, was Schatten ist und ich nicht gleich loslachte, meinte
sie „Das hätte man jetzt auch schöner erzählen können.“ In dem Moment dachte
ich, ich müsse umfallen vor Lachen. Ich kriegte mich gar nicht mehr ein.
Manchmal holt die wirklich Dinger hoch, da kann man sich echt bekringeln.
Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, gab ich ihr den Rat, den Satz immer ans
Ende einer Geschichte zu setzen- das ist dann garantiert komisch.
Oder sie erzählte die Geschichte, wie jemand zu ihr gesagt hatte „Dann machen wir es jetzt
mal so – da legen wir einfach auf.“ Der Satz ist einfach gigantisch.
Der passt zu jeder Kundenbeschwerde. Den muß ich mir auf
jeden Fall auch merken.
Wir geniesen den Geruch der Eukalyptusbüme, und da kreuzt
eine Blindschleiche unseren Weg. So nah wie hier habe ich Natur noch nie
erlebt.
Als sie versuche die Banane zu essen, wollte ich mich
gleich wieder bekringeln, es war nicht mal möglich, die normal zu schälen, weil sie einfach nur hart war und mir fiel gleich wieder die Geschichte ein, wie mein
Vater Bananen einwecken wollte.
Es ist schon merkwürdig, an was man alles so erinnert wird und
wen und was wir alles auf dem Weg dabei hatten.
Kurze Zeit später treffen wir wieder auf die Franzosen und verständigten uns
unzureichend auf Englisch – und es ist auch schön zu sehen, dass die anderen genauso leiden. Sie
geiesen das sicher auch.
Wenn wir Lust hatten, hielten wir eben still und auch zum
Mittag gab es heute kein Menu – wir hatten ja Obsttag.
Wir kehrten in einer Kneipe ein, die sich „Die zwei
Deutschen“ nannte. Wir dachten natürlich an ein Paar, war es auch, aber schwul.
So was Nettes! Der Mann erntete sogar den Salat für unseren Salatteller
frisch. Und ert war wirklich gut.
Ich hatte ja kurz mit dem Sandwich geliebäugelt, mich dann
aber doch dagegen entschieden. Trotzdem, Spanier machen herrlich große
Sandwichses...
Da kamen auch die drei Pilger aus Portomarin, die um 6.00 Uhr aufgestanden waren. Wir freuten uns wie
verrückt, ohne erklären zu können warum – auch wenn ich sie an diesem Morgen
wirklich gehasst hatte.
Wir hatten uns kaum in Bewegung gesetzt, als Doreen von
Heißhunger überfallen wurde. Wir sahen ein Cafe mit einem Verkaufswagen und sie
stürzte hin. Aber da war keiner und sie wurde immer aufgeregter. Wie ein
kleines Kind sprang sie von einem Bein auf das andere (trotz Rucksack!!) „Nehm
ich jetzt die Nußschokolade, oder da die Schokonüsse? Oder lieber die
getrockneten Früchte? Und überhaupt, ist es zuviel verlangt, wenn ich mal kurz
hinter den Tresen gehe und genau gucke?“
Ich amüsierte mich und sie war überglücklich, als sie
endlich das erste Stück in den Mund steckte (falsch, das Erste gab sie mir,
auch wenn ich es abgelehnt hatte. Ich
hatte meinen Zuckerschock schon in Form von Cola).
Beim Laufen stellt Doreen fest, dass es wohl unglaublich
ist, wie viele Hortensien am Wegrand stehen und wer sich wohl die Mühe gemacht
hatte, die alle für die Pilger anzupflanzen – wenn man bedenkt, das in
Deutschland eine kleine Blüte 6 € und eine große 8 € kostet. Wir lachen wieder.
Und dann ist auch echt beeindruckt von meinen Pflanzenkenntnissen, denn ich
zeige auf eine und meine, dass ich gar nicht gewusst hätte, dass die auch
Spanien wächst. Ihr Name sei „Jelängerjelieber“..
„Ich glaube, das ist jetzt meine Lieblingspflanze.“ – und
wir lachen herrlich.
Die Landschaft wird karger und wir laufen an einem
Industriegelände vorbei. Am Wegrand stehen Tafeln mit unendlich vielen Namen
darauf. Es hat ohne Zweifel mit dem Jakobsweg zu tun, aber wir können nur
erahnen, dass es sich um Verstorbene handelt, die ihren Weg hier beendet haben,
Das macht sehr betroffen.
Dementsprechend werden unsere Gespräche trauriger und
nachdenklicher.
Wir machen Pause, wohl auch um auf andere Gedanken zu
kommen.
Dann nähren wir uns Melide
und kommen durch das Petrusviertel – wie wir aus dem Reiseführer erfahren,
solle Petrus hier gewesen sein. Wir durchlaufen es schweigend und mir treibt es
Gänsehaut über den ganzen Körper. Es sah aus, als ob sich in den letzten
2000Jahren wirklich nichts verändert hätte. So etwa ungewöhnliches hatte ich
noch nie gesehen. Es fehlen mir die Worte, das zu beschreiben, weder wie es dort aussah, noch was ich fühlte. Das
kann man nur erleben.
Leider verpassen wir es Fotos zu machen. Aber in diesem Viertel hat man wirklich das Gefühl, Petrus tritt gleich aus dem nächsten Haus.
Im harten Kontrast dazu stand das neue Melide, Häuser mit Sicherheitsanlagen hoch modern und abschreckend
und ich meinte, man soll doch Strafgefangene nicht einsperren, sondern den weg
laufen lassen – sie würden sich verändern. Die Sonne brannte inzwischen
erbarmungslos auf uns nieder und wir waren fast geneigt, uns hier
niederzulassen.
Doch dann sahen wir die Franzosen wieder. Sie waren
ungewöhnlich gut auf den Beinen , das machte uns Mut und wir liefen weiter, bis wir Keith trafen.
Er hatte seine Sachen mitten in einer Grünfläche der Stadt zum Trocknen
ausgebreitet und trank Bier mit Shae, einer Kanadierin. Wir unterhielten uns herrlich und erfuhren,
dass er aus Liverpool stammt.
Ich war begeistert und meinte, ich sei dort vor zwei Jahren
gewesen. Er konnte nicht fassen, dass man da Urlaub macht, aber ich erklärte,
wir hätten eine tour durch halb England gemacht. Und so redeten wir und er
schien auch zu verstehen, was ich sagte.
Dann fragte er, ob wir hier bleiben würden und meinte „It`s
no time to stop“. Also gingen wir weiter.
Es würde schon Sinn machen, wenn er das sagt. Immer noch das Gefühl des Petrusviertels in
uns, waren wir geneigt an alles zu glauben, was uns passiert – vielleicht
passiert wirklich nichts umsonst.
Und kurzzeitig waren wir wieder gut zu Fuß, aber eben nur
kurz.
Der Weg führte uns durch einen Wald, alles erinnerte uns an
die Wälder in Deutschland und doch auch wieder nicht. Ein - wie uns schien
kleiner Fluß - kreuzte den Weg. Das
dachte wohl auch ein Radpilger, der mit
Schwung durch das Wasser fuhr und erst in der Mitte des Flusses merkte wie tief
er war. Aber er trat in die Pedalen – nun hatte der Arme auch noch nasse Füße
und schaffte es aber durchzufahren, ohne absteigen zu müssen. Wir konnten nicht
anders – wir mussten applaudieren. Die riesigen Steine, die in dem Fluß lagen,
diensten zu Überquerung trockenen Fußes. Wir konnten das natürlich nicht
auslassen zu fotografieren. Plötzlich tauchte Keith hinter uns auf und ich
hätte gerne ein Photo mit ihm gehabt, aber er lehnte das strikt ab,
fotografierte aber Doreen und mich zusammen.
Wieso hatte er abgelehnt fotografiert zu werden?
Unsere Phantasie brannte mit uns durch. Vielleicht war er ja
ein Verbrecher und wenn wir den Computer anschalten würden um die Bilder
anzusehen, würde sich gleich das FBI oder der BND bei uns melden.
Langsam fing wirklich die Sonne an uns zu schaden.
Aber komisch war das schon und er war auch immer umgeben von
Frauen. Vielleicht ließ er sie auf dem Camino verschwinden? Sollten wir vielleicht unsere Leichtgläubigkeit anderen gegenüber in Frage stellen? Man trifft sich hier, erzählt mit anderen über unglaubliche Dinge und vertraut allem. Das ist ein gutes Gefühl und wir beschlossen es weit so zu handhaben.
Unsere Wasservorräte neigten sich nun langsam dem Ende
entgegen und ich hätte gerne so etwas wie eine Sitzmöglichkeit gefunden. Wären
wir doch bloß in Melide geblieben!!
Da plötzlich war unter Bäumen ein Stand mit frischen
Himbeeren und riesigen Wasserflaschen aufgebaut. Man solle einfach das Geld
hinlegen.
Ich war sehr dankbar für diese kleine Erfrischung und Doreen
schnappte fast über – so eine Freude an unserem Obsttag.
Ich war so mehr dankbar für den dabeistehenden Stuhl.
Das gekaufte Obst vom Morgen hing an meinem Rucksack und ich
hatte es schon völlig zerquetscht – hatte ich doch ganz andere Sachen im Kopf,
wenn ich eine Gelegenheit zum Sitzen sah!
Wir sahen wieder Araberhose und Kniebandage, die genauso
fertig waren und an einem Brunnen haltgemacht hatten, in Begleitung von zwei
Spaniern. Aber der Sinn stand uns nicht nach neuen Bekanntschaften und so winkten wir nur matt, wir hatten einfach genug. In Boente
sahen wir eine Kirche und Doreen schrieb
uns ins Kirchenbuch ein. Ich verharrte still im Inneren und sah auf zu
den Heiligen. Würde der Tag denn niemals
enden?
Wir gingen in das nächstgelege Café und Doreen holte sich
von dem herrlichen Krümmelkuchen, den ich dann allerdings fast alleine verschlang- undankbare,
die ich war.
Und dann sahen wir ein Cafe gegenüber, auf dem das Schild
„Taxi“ leuchtet.
Blitzartig hatten wir die Idee, doch unser Gepäck zur
Herberge fahren zu lassen. Wir waren einfach nur breit und verwünschten die
Rucksäcke regelrecht.
Aber um nichts in der Welt wären wir bereit gewesen selber
einzusteigen. Vielleicht, wenn wir allein gewesen wären… Und selbst dann – wir
hätten uns selbst nicht in die Augen sehen können.
Schon mussten wir wieder kichern– wenn das Gerhard wüsste:
wir geben das Gepäck wildfremden Menschen und vertrauen.
Aber so groß war unser Vertrauen dann doch nicht, denn wir
nahmen die Flugscheine und das Geld raus. Erst später merkte Doreen, dass sie
ihren Pass vergessen hatte.
In dem Cafe hingen unzählige Hüte von der Decke und erst später ging uns auf, dass auch Hape
von diesem Cafe beschrieben hatte. Auch er hatte – soweit unsere Erinnerung uns
nicht trübte – von der Unfreundlichkeit des Cafebesitzers geschrieben. Aber das
war wahrscheinlich die Mentalität der Spanier. Wir hatten bisher erst sehr
wenige Punkte gesehen, an die wir uns aus seinem Buch erinnern konnten, aber das
war mehr als deutlich.
Der Mann war auch gleich bereit und verstand, wohin wir das
Gepäck haben wollten. Blöd war nur, dass wir uns nach der Kirchuhr richteten
und das Gepäck für 20.30 Uhr bestellten. Auf der Kirchuhr war es 19.00 Uhr und
die vier Kilometer sollten wir doch in 1 ½ Stunden schaffen. Dabei war es erst
18.00 Uhr. Fatal, als wir den Irrtum
bemerkten.
Zunächst lief es sich ohne Gepäck ja scheinbar gut, aber mit
jedem Meter wurden die Füße schwerer und die Schmerzen kehrten zurück.Trotzdem nahmen wir die Schönheiten am Wegesrand wahr.
Wir freuten uns diebisch, als wir Araberhose und Kniebandage ohne Rucksäcke
überholten. Waren wir clever!!
Noch lachten wir, weil Heidi uns gestern erzählt hatte, dass
sie schon Gebete geschickt hatte, dass es aufhören soll zu regnen. Ja, da muß
es schon schlimmer kommen, als ein bisschen Regen und Heidi, dass wir das tun
würden. Und es kam schlimmer.
Unser Reiseführer hatte die Herberge, die wir ansteuerten
als die schönste auf dem gesamten Weg beschrieben und wir hofften, dass sie
endlich vor uns auftauchen möge.
Aber sie ließ auf sich warten.
Endlich, wir konnten sie sehen, davor war ein Fluß, oder
Teich, auf jeden Fall standen Kühe im Wasser und ich war nicht mehr in der Lage
etwas aufzunehmen.
Mir war einfach alle egal. Aber was kam, trieb mich wirklich an den Rand der Verzweiflung.
Es gab kein Bett mehr in der Herberge und der Ort, in dem
sie stand, war eigentlich auch kein Ort.
Es prallte alles an mir ab. Man bot uns freundlicherweise
einen Platz auf dem Fußboden an. Und ich sah mich schon von Rheuma geplagt
aufwachen. Vielleicht waren ja Heidi oder der Polizist hier und ich könnte mir
eine ISO Matte borgen. Aber wie sollten wir die hier finden.
Eigentlich wäre das der Punkt gewesen, los zu heullen, aber
selbst dazu war ich nicht mehr in der Lage. Ich setzte mich zu den anderen
Pilgern auf die Wiese und eine schrecklicher Heuschnupfen Anfall kam dazu. Ich
sah verheerend aus. Doreen war die Rettung. Ohne sie wäre ich einfach nur
umgefallen, hätte aufgegeben oder … ich habe keine Ahnung was getan. Gedanken
waren keine mehr in mir. Der letzte Rest Energie und Hoffnung war raus aus mir.
Man sollte Gott vielleicht doch nicht herausfordern – schoß es mir durch den
Sinn.
Doreen nahm ihren Reiseführer und ihr Telefon und nach
schier unendlich langer Zeit hatte sie ein Zimmer organisiert – nur 2,5 km von
hier entfernt.
Wäre eigentlich schön, wenn jetzt unser Gepäck noch ankäme
und wir nicht Missverständnissen oder Verbrechern zum Opfer fielen. Aber das
Gepäck kam. Der nette Mann brachte es selber und wir hatten gedacht, der sei
unfreundlich!!
Wir erklärten mit Händen und Füßen, dass die Herberge voll
ist und ob er es weiterfahren würde und zeigten ihm die Adresse. Das Zimmer sei
auf „Lesa“ reserviert. Der Spanier hat eine nette Art, alles sehr zu
vereinfachen.
Er wollte nicht mal
Geld. Aber wir drängten ihm buchstäblich weiter 5 Euro auf. Und es wäre uns
weitaus mehr wert gewesen:
Ich verschlang gleich noch mal 2 Aspirin – die mussten doch
mal wirken – zumindest die nächsten 2 1/2 km.
Dann kamen Araberhose und Kniebandage und wir erzählten,
dass auch im nächsten Ort alles
ausgebucht wäre. Aber sie waren optimistisch.
Auch die beiden Spanier, mit denen sie sich unterhalten
hatten zogen weiter.
Ich schleppte mich mehr, als ich lief. Mein
Orientierungssinn war verloren gegangen., ich war wie in Trance und versuchte
mich selbst zu hypnotisieren – vielleicht fühle ich dann ja auch nichts mehr.
Doreen erzählte und
ich war nur dankbar – das lenkte schon ab. Wir liefen und liefen und ich hatte
nicht die geringste Ahnung wohin.
„Du wirst sehen, wir treffen heute noch jemanden – mir ist
einfach so“, versucht sie mich aufzumuntern
Wo war nur diese blöde Unterkunft. „Laß uns jemanden fragen“
– eine blöde Idee. Wir verstanden eh kein Wort. Aber wie sprachen zwei ältere
Damen an. „Donde este Pession…“
Sie verstand uns und schienen uns ihren gesamten Lebensauf zu
erzählen. Aber wir waren vorbereitet.
Ich weiß nicht woher ich es nahm, aber ich wusste, dass wir
bis zu dem braunen Schild zurück laufen sollten, dann nach rechts und es wäre
das Haus mit den Blumen- Balkons. Und falls wir es nicht finden sollten,
sollten wir noch mal zurückkommen und sie wollten es uns dann zeigen. Sie wären
in dem Autohaus und wiesen mit dem Finger auf die andere Straßenseite. Die alte
Dame nahm unsere Hände und wünschte uns Glück. Ich war total gerührt. Es war
vielleicht unsere echt groteske Erscheinung, meine angeschwollenen Augen, unser
Äußeres, was alles andere als schick war und unser wirklich merkliches
Fertigsein, was sie dazu bewogen hatte, unseren Weg als wichtig für uns
anzusehen. Wir fanden die Pension, oder Hotel auf Anhieb und wie wir uns so
durch die Tür schleppten, kam uns eine nette Frau mit gelocktem Haar entgegen
gelaufen und fragte gleich „Lesa“ Wir nickten, überglücklich und fragte noch,
ob wir noch was zu essen bekommen könnten.
Sie führte uns zu dem Zimmer – unsere Rucksäcke warteten
dort schon auf uns.
Und jetzt liege ich völlig erledigt auf dem Bett, Tränen
laufen mir übers Gesicht und ich bin einfach nur dankbar.
Wir renovieren uns und schleppen uns nach unten – mit
beachtlichem Hunger Es ist neuen Uhr und die Frau scheint überglücklich uns bewirten zu dürfen.
Wir fragen uns, wie die anderen wohl untergekommen sind, die
Franzosen, Keith, Shae, Araberhose und Kniebandage und nicht zuletzt unser
Polizist und Heidi.
Plötzlich trifft mich fast der Schlag, da steht doch unser
Polizist an der Theke und gestikuliert wieder herum. Wie der sich so weit durch
Spanien geschleppt hat ohne ein Wort Spanisch, erscheint fast schleierhaft.
Immer wieder versucht er französisch zu sprechen, was der Spanier direkt
ablehnt.
Wir rufen und er
kommt hocherfreut zu uns und meint – und wir sind wirklich glücklich ein
Wort deutsch zu hören – „Isch hab au die aner Bekannte getroffen.“
Wir fallen fast vom Stuhl – die andere Bekannte kann nur
Heidi sein.
Den ganzen Tag haben wir philosophiert, dass die beiden doch
herrlich zusammen passen würden und nun sind sie sich tatsächlich begegnet und
haben sich- aus Sparsamkeitsgründen – ein Zimmer geteilt. Wir platzen fast vor
Lachen.
„Wir treffen heute noch jemand“ – Doreen hat es geahnt.
Reinhard so heißt unser nette Polizist holt Heidi und ich mache gleich eine Runde
Wein – da soll es mir jetzt auf `ne Mark fünfzig nicht ankommen. – hätte von der Lippe gesagt.
Die Schmerzen, die Verzweiflung sind weg. Wir sind so
glücklich, alle vier
Und die beiden erzählen, dass sie sich schon am Morgen
getroffen hatten und nach und nach ging ihnen auf, dass sie beide von uns
erzählt hatten und als sie merkten, dass sie die gleichen Frauen aus Thüringen
meinten, war das natürlich ein riesiges Hallo.
Aber das wir nun hier zusammen saßen 26 km weiter- war
einfach unfassbar. Eigentlich hatten wir doch in Melide anhalten wollen, nur Keith war es, der uns weiter getrieben
hatte.
Spontan beschossen wir, gleich ein Quartier für den nächsten
Tag zu buchen, die Betten würden immer knapper und das was wir heute erlebt
hatten, mussten wir nicht noch mal durchmachen.
Die Kellnerin erklärte sich gleich bereit, ein Zimmer zu
buchen und wieder verstand ich wie durch Wunderhand, was sie gesagt hatte. Sie
könne nur ein Drei- und ein Einzelzimmer buchen. Aber so war das auch in
Ordnung.
Wir lachten und tranken und als ich später mit Doreen im
Bett lag- es war so wunderbar weich und
der Gedanke an den angebotenen harten Steinfußboden ließ es noch viel weicher
und schöner erscheinen – witzelten wir schon wieder herum. Na, bei den beiden
geht doch noch was!
Eins habe ich heute jedenfalls gelernt
Fordere keinen heraus- egal wen – das tut keinesfalls gut!!
05.07.07
Wir standen auf und frühstückten und vom Elend des
vergangenen Tages war nichts mehr zu spüren, immerhin waren es heute nur 22 km
die vor uns lagen – ein Klacks. Reinhard und Heid waren schon zeitig
aufgebrochen aber ich genehmigte mir heute 2 Tassen Kaffee. Er schmeckte
einfach göttlich. Langsam gewöhnte ich mich an dieses Zeug und er schmeckte
wirklich schon besser als an der Arbeit. Und diesen Automatenkaffe liebe ich
nun wirklich.
Doreen kaufte uns zwei winzige gelbe Pfeile – einfach
traumhaft.
Ich heftete ihn gleich an den Rucksack, neben dem
Regenbogenanstecker, den wir irgendwo gefunden hatten und der uns auch in
irgendeiner Weise als „Gay“ auswies. Vielleicht war uns so viel Anmache erspart
geblieben, von denen Hape geschrieben hatte.
Den Ort Azur nahm
ich nun viel freundlicher war. Die alten gemauerten Häuser und Gässchen
begrüßten uns freundlich und wir schlenderten in eine Kirche. Gerade wurde eine
Messe gelesen und wir lauschten – auch wenn wir kein Wort verstanden.
Gedankenversunken saßen wir einfach nur da.
Draußen schienen sich wieder hunderte von Pilgern auf dem
Weg zu machen – auch ein Kamerateam vom galizischen Fernsehen war dabei. Sie
interviewten gerade irgendjemanden. Bestimmt eine Größe der hiesigen Politik.
„Die sollten uns mal fragen“, meinte Doreen. Schließlich hätten wir schon
einiges zu erzählen.
Einer der gefilmten hatte ein Piratentuch am Rucksack, das
wir wenig später am Weg fanden. Wir nahmen es mit. Irgendwann würden wir sie
schon wieder einholen und es ihm geben. Die konnten mit ihren Kameras doch
unmöglich schneller sein als wir.
Der Weg führte uns berauf auf Sand und Steinen, aber schön
bewaldet. Da waren doch tatsächlich die drei Italiener von vorgestern. Komisch
wir hatten geglaubt eine ungewöhnliche Leistung vollbracht zu haben mit unserem
Gewaltmarsch, aber die anderen schienen genauso weit gekommen zu sein. Wir
kamen ins Gespräch – auf Englisch und amüsierten uns göttlich, dass wir wieder
zwei Versionen verstanden. Ich verstand, das wir in dieser einen Woche schon
mal trainieren sollten, wenn wir mal den ganzen Weg gehen und Doreen verstand,
dass wir vorher mehr hätten trainieren sollen.
Es war einfach zu komisch – ständig hatten wir verschiedene
Interpretationen.
Er lief weiter und wünschte uns noch einen guten Weg.

Nach einer ganzen Weile beschossen wir dann Pause zu machen
– wir hatten wohl alle Kollegen und ihre und unsere Macken auf dem Weg hinter uns gelassen. Und wir
hatten nicht die geringste Ahnung wie weit wir gelaufen waren. Jemand schien
die Kilometersteine versteckt zu habe. Endlich tauchte wieder einer auf –
erstaunliche 6 km hatten wir im Gespräch über unsere Kollegen zurückgelegt. Wir
ließen uns am Wegrand nieder- der Regeschutz dienste als Sitzgelegenheit Da tauchten die beiden Spanier auf, die wir
gestern mit Araberhose und Kniebandage gesehen hatten. Sie machten halt und
unser Gespräch konzentrierte sich auf die Frage, ob wir uns in Santiago wohl
sehen würden. Wir tauschten Telefonnummern aus. Sie kamen irgendwo aus dem
Osten Spaniens und hießen Raul und Rabbe. Und wie die KATHARIN sagten, das war
einfach voll schön. Ich habe noch nie meinen Namen so schön gehört und bat
Rabbe immer wieder ihn noch mal zu sagen. Und Dank unserer umfangreichen
Spanischkenntnisse konnten wir den beiden sogar erzählen, dass wir Domingo heim fliegen.
Die zwei zogen weiter – wir sehen uns in Santiago und dann
tanzen und singen und trinken wir, Kuss rechts, Kuss links und weg waren sie.
Dann treffen wir einen Deutschen. Doreen versuchte in einer
Mischung aus Englisch, Spanisch und Deutsch auf die Frage „Geht’s gut“ zu
antworten,ich bald platzte vor Lachen und meine, sie könne ganz normal
deutsch sprechen.
Sie war völlig verwirt, kein Wunder nachdem Gespräch mit den
beiden Spaniern.
Er hat das richtige Lauftempo: Sonntag -Nachmittag- wir-
laufen -eine -Runde -um -die -Kirche -Tempo, ca. 2 km pro Stunde. Eine akute
Knieentzündung zwang ihn dazu.
Seit sieben Wochen sei er unterwegs und wir fragen ihn nach
seinen Erlebnissen. Sieben Wochen sind
dann wohl doch eine zu lange Zeit, denn am liebsten lachte er über seine
eigenen Witze. Erzählte aber von drei
Finninen, von denen zwei sich den ganzen Weg mit einer Fliese abschleppten, die
sie gefunden hatten und der dritten in Santiago schenken wollten – für ihr
neues Haus. So was Schönes hatte uns noch niemand erzählt.
Er sprach weiter von Bettwanzen in Burgos und wie er in ein Schuhgeschäft gekotzt hätte, und am
nächsten Tag noch mal dort hin ist, um den Schuhkauf zu beenden. Klasse – ich
wäre nur unter Androhung von Strafe noch mal in das gleiche Geschäft gegangen.
Ein alter Mann saß am Wegrand und meinte, wir sollen im
nächsten Ort ins zweite Cafe gehen.
Klasse, Comerz wohin
man schaut. Unser Deutscher Dauerpilger schien gut spanisch zu sprechen, denn
er verstand und antwortete sogar.
Also wenn der alte Mann da schon sitzt, sollten wir ihm auch
die Freude machen. Wir liefen schon voraus, denn des Deutschen Tempo war doch
zu langsam für uns. Wir würden im zweiten Café sitzen.
Und dort traf ich auch meine Jakobsmuschel. Sie hing da und
ich wusste, dass es meine ist- sie sprach zu mir. (hat mich jetzt die
Verrücktheit der anderen angesteckt??)
Wir saßen und da saß auch wieder die Frau mit dem bunten
Hut, die wir gestern schon gesehen hatten, aber so richtigen Hunger hatten wir
doch auch nicht.
Der Deutsche kommt irgendwann und wir erzählen ihm, dass wir
uns keine Sorgen wegen eines Zimmers machen müßten – wir hätten reserviert und
unsere Rennpilger seien sicher schon dort.
Er schrieb sich gleich noch die Telefonnummer auf, denn so
wie er vorankam, war die Chance auf ein Bett doch ehr gering.
Wir liefen weiter – sogar Araberhose und Kniebandage hatten
uns schon überholt und bei allem reden merkten wir gar nicht, wie die
Landschaft vom kargen ins saftig grüne wechselt. Es ist eine ständige
Veränderung des Weges. Mal glaubt man wirklich in den Sümpfen Neuseelands zu
sein, dann glaubt man, dass gleich die Wüste beginnt.
Doreen hat eine geniale Idee: „Was meinst du, wenn wir an
Quergestreift schreiben und die zu Hause grüßen – ich hab die Nummer
eingespeichert?“ Die Frau ist genial!!
Also schicken wir eine SMS und am nächsten Tag erscheint sie
tatsächlich.
Wir halten wieder mal an. Eine Tapas Bar mit herrlicher
spanischer Musik lädt ein.
Am Nebentisch sitzen Spanier und trinken. Ob die noch laufen
können?
Und ich denke mir, ich könnte es ja mal so machen, wie Keith
gesagt hat – ein Bier trinken. Er meinte, das geht sofort in die Füße und der
Schmerz würde betäubt. Und ich kann wirklich nicht mehr laufen, meine Füße tun
wie immer weh. Werden die sich eigentlich nie daran gewöhnen?
Ich schicke Doreen Cerveza
holen. Auch so ein Wort, was ich mir problemlos merken kann – ich kenne es aus
den Asterix Filmen.
Shae kommt auch wieder
- wir fragen nach Keith, aber sie hat keine Ahnung, wo der abgeblieben
ist.
Sie sucht die Abgeschiedenheit, setzt sich abseits und
trinkt an ihrem Wasser.
Doreen hat sich so eine Art Pizza Brot geholt. Sieht
merkwürdig aus. Ich habe keinen Hunger – Bier sättigt ja auch. Nachdem sie die
Hälfte des Belages an den hier rumstreunenden winzigen Hund verfüttert hat,
merkt sie, dass es Tintenfisch ist und ärgert sich jetzt ein bißchen, zumal wir
es immer noch nicht geschafft haben, diese galisische Spezialität zu probieren.
Mit dem Rest ihres Pizza Brotes ist sie dann dem Hund gegenüber schon recht
geizig, egal wie der sich vor ihr gebärdet.
Wir sitzen in der Sonne und genießen die Wärme, das Bier,
die spanische Musik. Neben uns ist eine geniale Hecke. Sie besteht aus
verschiedenen Straucharten. Das ist
total schön. Auch Doreens Lieblingspflanze („Jelängerjelieber“) ist dabei.
Und da kommt unser Deutscher um die Ecke. Er fragt höflich,
ob er sich zu uns setzen kann und meint,
bei unserem Tempo kämen wir wohl nie an. Aber wir haben Zeit haben und die
Zimmer sind doch reserviert und wir wollen das alles auch genießen. Er lacht
(und wie immer wissen wir nicht genau warum), holt sich was zu essen und setzt
sich. Zuvor zieht er noch seine Schuhe
und Strümpfe aus. Also mal ganz ehrlich, es ist kein schöner Anblick. Und dann bittet der uns auch noch, seine
Strümpfe mal in die Sonne zu hängen. Das ist natürlich ein Grund, einen
Lachkrampf zu kriegen. Meinte der das wirklich ernst? Unter Lachen krieg ich
gerade noch raus „Das übersteigt jetzt wirklich meine Toleranzgrenze. Ich fasse
ja kaum meine eigenen Strümpfe an. Und da soll ich deine aufhängen? Du hast sie
doch nicht alle!“
Er versteht gar nicht, was wir haben, denn auch Doreen will
sich ausschütten vor Lachen. „Ich faß doch nicht Deine Stinksocken an!“ und
dann nimmt er sie auch noch und riecht dran. „Wieso, riechen ganz frisch nach
Waschmittel.“ Das schlimmste ist, der hat auch noch 2 Paar übereinander an, so
dass die echt nass sind.
Ich kann gar nicht glauben, dass der das ernst meint. Aber
es ist sein voller Ernst. Doreen ist ja eine Gute – ich mache nicht mal
andeutungsweise Anstalten, darauf einzugehen. Ich finde das einfach zuviel
verlangt von Fremden. Aber sie nimmt seine Wanderstöcke, er hängt seine
Strümpfe drüber und Doreen hängt sie dann in die Sonne.
Aber jetzt sind wir uns einig: wir müssen ganz schnell weg,
ehe er noch mehr Merkwürdigkeiten rauskramt.
Fluchtartig verlassen wir die Bar und suchen das Weite.
Wir lachen immer noch. Vielleicht sind 7 Wochen auf dem Camino doch zu lang – man scheint
ja jede Form von Sozialkompetenz zu verlieren! Aber seinen Namen hat er weg: Socken –
Jockel.
Wir reden über Sterben und Krankheit – ich muß immerzu an
den Mann aus dieser Biografie, der doch so optimistisch erschien. Jahre nach
dem Erscheinen des Buches fragte ich mich, was aus dem Mann geworden war. Ein
Freund erzählte mir, er habe sich selbst getötet – so stand es in der Zeitung.
Doreen erzählt von einen Fernsehbericht und wie die mit dem Unweigerlichen
umgingen, der Kranke, seine Familie und Freunde.
Es ist ein schweres Thema. Und da können wir auch mal
schweigen.
Wir lassen viel auf dem Weg von den Ängsten und den kleinen
Gemeinheiten, die uns bisher widerfahren sind.
Wie weit ist es denn nun noch bis Acra – unserem Tagesziel?
Bei jeder Ortschaft, die sich ankündigt, sind wir voller
Hoffnung, doch oft sind es nur einige Hütten, wunderschön romantisch, aber eben
auch nicht Agra.
Und dann liegt es vor uns.
Meine Füße brennen.
Doreen nervt - wie
mir scheint – seit Stunden. Sie will unbedingt eine bestimmte Sorte Haribo.
Eine Tankstelle ist unsere Rettung in doppeltem Sinne –
Doreen kriegt ihre Haribos und wir können nach dem Weg zu unserer Pension
fragen.
Wir sollen stadteinwärts – also gehen wir, werden es schon
finden.
Araberhose und Kniebandage sitzen neben einem Cafe und haben
noch kein Bett, aber sie sind optimistisch, die Cafeeigentümerin wollte sich
kümmern – komischerweise verstehen wir ausnahmsweise mal das selbe.
Und da stehen Reinhard und Heidi und holen uns ab. Die zwei
sind wirklich unglaublich, sie lassen sich auch nicht davon abbringen, unsere
Rucksäcke zu tragen. Also wir haben da jetzt absolut nichts dagegen.
„Mir habe uns überlescht, dass mir eusch de Freud mache.“ –
ich liebe es, wenn er redet, könnte stundenlang zuhören!
Heidi fragt Doreen gleich noch mal, ob ihr denn der Gurt
gepaßt hätte, der wäre ihr doch viel zu groß. Nettes Kompliment! Ständig muß
sie darauf eingehen, dass wir nicht so dünn sind wie Heidi – aber mal ehrlich,
wer will denn so aussehen?!
Ich glaube Heidi ist neidisch auf Doreen. Ihre Art auf Leute
zuzugehen, sie anzusprechen, ihnen zuzuhören, aufmerksam zuzuhören, die Art wie
sie sie dabei ansieht – das ist einzigartig und macht Doreen vom ersten
Augenblick an zu einem extrem sympathischen Menschen. Leider fehlt mir das
auch, aber Heidi kann das nun so überhaupt nicht. Darum verteilt sie auch mal
gerne kleine Giftpfeile gegen uns.
Sie meinen uns auch schockieren zu können, dass es wohl doch
nicht so geklappt hat mit den Betten und einer muß auf der ISO Matte schlafen.
Mich schockiert nichts, Hauptsache das Brennen der Füße hört endlich auf und
ich kann irgendwo liegen. Ich stelle es mir zwar nicht so kuschlig mit Heidi in
einem Zimmer vor, aber was soll’s? Besser als auf dem uns schon angebotenen
Steinfußboden ist das allemal.
Wir kommen in eine Art Wohnhaus, dessen Zimmer einzeln
vermietet wurden. Heidi und Reinhard freuen sich diebisch, dass sie uns
veralbert haben, als sie uns unseren Zimmerschlüssel reichen. („I mußt jez ganz
schö an misch halte, dass i misch nisch verpappel du.“)
Uns gehört die obere Etage und unser Zimmer ist total klein.
Im Normalfall hätte mich das gestört und schockiert. Aber ich bin wieder nur
dankbar, und nehme ohne weitere Frage auch die Aufbettung.
Wir liegen auf den Betten und kriegen wieder den totalen
Lachanfall. Wir können uns gar nicht mehr beruhigen. Doreen versucht unter
Dauergelächter ihren gestrigen Satz noch mal rauszubringen „Na, bei den beiden
geht doch heute noch was!“
Es ist wirklich so merkwürdig komisch. Normalerweise gibt es
da ja gar nichts zu lachen, aber hier war die Situation unerklärbar komisch,
dass wir uns gar nicht mehr beruhigen konnten.
Allein die spanische Geste für „Obbacht“ löste Lachkrämpfe
aus.
Und dann philosophierten wir noch, dass die Aufbettung
zweifelsohne in dem größeren Zimmer gestanden hatte. Das konnten die uns doch
nicht erzählen! Die hatten die Aufbettung schön nach nebenan geschoben um ihre
Ruhe zu haben. Aber sie taten so, als sei nichts. Herrlich, wie im
Kindergarten!
Nachdem wir uns zumindest einigermaßen beruhigt hatten,
duschten wir und wuschen gleich noch ein paar Sachen. Hier gab es immerhin eine
Wäscheleine. Wir hofften den Kleiderbügel, den wir aus Palas de Rei mitgenommen hatten, dann auch endlich hier lassen zu
können.
Doreen brauchte wieder Stunden. Dabei stelle ich mir immer
die Frage, ob ich besonders schnell bin, oder sie besonders langsam. Aber
irgendwie scheine ich da einen kleinen Schaden zu haben. Waschen und
Zurechtmachen (wobei man von zurechtmachen ja hier nicht sprechen konnte –
eigentlich war es nur Wäschewechsel) geht bei mir immer total schnell.
Wahrscheinlich eine Meise aus der Kindheit, wo wir nach dem Schwimmunterricht
immer schnell machen mußten.
Dann kriegte sie die Badtür nicht mehr auf und ich überlegte
schon mal, an welcher Hauswand ich hochklettern müßte, um sie zu retten.
Dann kam mir der rettende Einfall, doch mit Felix
Taschenmesser die Schlösser abzuschrauben, aber dann ging sie doch wieder auf
und ich konnte die Rettungsaktionen abblasen. Wir konnten uns endlich was zu essen
suchen. Irgendwie hatten wir mittags ja nichts richtiges gekriegt und der
Hunger nagte an mir und ließ meine Laune merklich absinken.
Wir suchen ein Restaurant, Reinhard ist göttlich bemüht um
uns. Das ist schon echt niedlich. Heidi treibt das scheinbar in den Wahnsinn,
aber das kann uns ja nicht stören, schön von einem Mann umsorgt zu werden. Sie
ist richtig wie eifersüchtig und eine neue Lachsalve scheint auf uns
zuzurollen. Aber wir können ihr ausweichen. Echt, soviel wie wir lachen muß man
ja denken, wir nehmen was!
Endlich finden wir eine Bar, wo man auch richtig was essen
kann.
Eigentlich wollte ich ja draußen sitzen – ich liebe es, wenn
das Leben um mich herum pulsiert – aber man führt uns in einen Raum, wo die
Tische einfach nett gedeckt sind und da sitzen auch unsere drei Italiener. Wir
freuen uns und winken ihnen zu.
Der Kellner ist unfreundliche – aber das ist ja nichts
neues. Langsam gewöhnen wir uns an spanische Gastlichkeit. Am Ende des Abends
würde der sicher auch wieder auftauen. Ein wenig eingeschüchtert trauen wir uns
dann aber doch etwas zu bestellen, auch wenn es wieder komisch aussieht,
schmeckt es göttlich. Ich weiß nicht womit die würzen, aber es schmeckt ganz
anders als zu Hause, interessant anders.
Nicht dass ich mir ernsthaft Gedanken über die Zubereitung
der Speisen mache, um die eventuell nach zu kochen, ich genieße es einfach.
Als der Kellner die Suppe von Heidi und Reinhard
aufschöpft befürchte ich schon, dass die
beiden auch gleich einen Schwapp über die Klamotten kriegen. Was ist das nur
hier?
Die Zwei erzählen, wen sie so alles getroffen haben – nicht
vergleichbar zu unserer „Ausbeute“ an merkwürdigen Menschen -, manche
Landschaften haben sie gar nicht wahrgenommen. Und das finde ich echt schlimm.
Bloß gut, dass wir die Walzertänzer auf dem Camino sind und alles so genießen.
Ich höre nur Heidis Gejammer, dass wir morgen da sein werden, aber warum
genießt sie dann nicht alles in vollen Zügen?
Wir lachen und schwärmen und erzählen natürlich auch von
unserer Bekanntschaft mit Richard Gere, der am Nebentisch sitzt. Bei denen geht
es hoch her, so wie die trinken, gehen die morgen keinen Meter. Während wir
noch an der ersten Falsche nuckeln, haben die schon zwei getrunken und beginnen
nun mit Schnaps. Doreen gibt meine Erkenntnis in perfekten Englisch an Richard
gewannt weiter. Der antwortet „Warum
sollen wir nicht laufen?“ – Es ist wie im Film, Doreen und ich starren uns
einfach nur an. Was war das jetzt? Haben wir uns verhört, oder hat der wirklich
in perfektem Deutsch geantwortet? Das gibt es doch gar nicht! Wir quälen uns
auf Englisch ab und dieser Idiot genießt unsere Quälerei. Das ist ja wohl die
totale Frechheit. Auf der Sympathieskala ist der jedenfalls gesunken – da
helfen auch die Augen nicht! Aber die
drei lachen sich halb krank. Die Frau sagt, sie verarschen immerzu hier die
Leute. Gerne tritt sie auch mal als Dolmetscherin auf. Sie stamme aus Bayern
und sei Italienischlehrerin, Richard ist Südtiroler und spricht von Hause aus
beide Sprachen. Der Dritte ist der einzige „echte“ Italiener, aus Rom.
Klasse und wir Idioten fallen auch noch auf diese Blödköpfe
rein. Ich bin stinksauer – kann das aber gut verbergen.
Zunächst haben wir noch tierischen Spaß mit dem Kellner,
weil er aussieht wie einer von den Klitschko-Brüdern fragen wir ihn, ob wir ein
Foto machen dürfen. Er ist total verduzt, freut sich aber über das Kompliment
und nun stellen wir fest, dass er richtig lachen kann. Er gibt uns auch noch
ein Autogramm und ist richtig begeistert von uns.
Schließlich schenkt er uns noch eine Karte von Santiago –
die werden wir morgen sicher brauche. Lachend ziehen wir davon.
Ich ärgere mich immer noch über die drei Italiener. Aber
viel wichtiger wäre die Frage, warum verletzt es so, wenn man so auf die Rolle
genommen wird? Und ganz plötzlich ist da so ein Gedanke, er ist ganz weit
hinten und als ich ihn endlich zu fassen kriege, bin ich ausgesöhnt.
Nicht wir sind die angeschmierten,
Richard ist der Idiot. Wäre er ehrlich gewesen,
hätte es ein gutes Gespräch werden
können. Aber durch seinen „Spaß“ hat er das auch für sich selbst verhindert.
Das sollte ich mir wirklich merken:
wenn mich zukünftig wieder jemand auf die Rolle nimmt, ist das nicht schlimm
für mich, denn der andere hat verhindert, dass es ein guter Tag, ein gutes
Gespräch wird. Nicht ich bin die Verarschte – der andere hat sich selbst
verarscht!
Wir gingen zurück und während ich auf meiner Aufbettung
sitze - und nach Socken Jockel versucht nun auch die Bettwäsche meine
Toleranzschwelle zu sprengen – und versuche das wichtigste, was wir heute
erlebt habe kurz festzuhalten, stürzt Doreen rein und schmeißt sich lachend
aufs Bett und teilt mir kichernd und flüsternd mit:„Du, ich will gerade aus dem
Bad, da steht Reinhard splitterfasernackt im Zimmer – ich sag dir, da geht noch
was.“
Erst nach mehrmaligem Nachfragen verstehe ich sie überhaupt, doch dann muß
auch ich loslachen.
Lachend schliefen wir ein.
06.07.07
Wir waren wohl die allerletzten, die das Haus verließen –
warum rennen eigentlich alle hier so früh aus dem Haus? Heidi und Reinhard
waren sicher auch wieder schon nach dem Morgengrauen aufgebrochen, wollten uns
doch tatsächlich noch Tee fürs Frühstück dalassen. Aber wir fühlten uns nun
doch schon wie Spanier und wo geht der Spanier hin, wenn er frühstücken will?
In eine Tapas Bar. Wir hatten schon
böse Befürchtungen, es käme keine mehr, weil wir in Richtung Ortsausgang
untergebracht waren - zum Zurücklaufen waren wir jetzt eigentlich auch zu faul.
Aber wir fanden eine.
Da saßen wie immer noch andere und wir nahmen die herrliche
Mahlzeit zu uns – Croissants und Milchkaffee.
Am Nachbartisch saßen eine Mann und ein junges Mädchen. Sie
sprachen uns an und wir erfuhren, dass sie auch schon in Frankreich
aufgebrochen waren. Ein angenehmes Paar, dass uns durch den Tag begleitete. Er
war aus Österreich und seine Tochter lebte in NRW. Wir fragten nach ihren
lustigen Erlebnissen und er meinte, dass lustigste wäre wohl gewesen, als die
Frau in Burgos früh um sechs schreiend und kreischend aus ihrem Bett
aufgesprungen wäre und geschrien hatte, sie habe Wanzen. Das Mädchen hatte das
wohl nicht so lustig gefunden, aber der Mann lächelte, wohl auch weil er es
überstanden hatte.
Dann lief draußen das Kamerateam vorbei und der Mann, der
das Tuch verloren hatte.
Doreen hatte am Morgen schon überlegt, ob sie es wohl in der
Herberge lassen sollte, hatte sich dann aber dagegen entschieden. Sie zerrte es
von ihrem Rucksack und rannte hinterher, als ob es darum ginge eine
Meisterschaft zu gewinnen. Er erkannte es sofort wieder und war unheimlich
glücklich, es wiederzuhaben. Auf dem Camino geht eben nichts verloren.
Der Österreicher und seine Tochter fanden die Geschichte
nett.
Dann machten wir uns auch auf den Weg. Er führte uns durch
einen herrlichen Wald, der so saftig grün war, dass es fast in den Augen
wehtat.
Wie jeden Morgen schienen hunderte mit uns loszulaufen. Für die Einwohner der
Orte musste das doch wie eine Heuschreckenplage sein, die jeden Tag in ihre
Orte einfiel und am nächsten Morgen weiterzog.
Sollte das heute wirklich unser letzter Tag sein? Wehmut
überkam mich und während Heidi gestern laut darüber rumgeheult hat, nahm ich
den letzten Tag noch mal richtig in mich auf. Wir waren wieder aufgekratzt. Am
Wegrand hatte jemand seine Wanderschuhe stehengelassen und sie waren gelb angesprüht.
Wir stellten uns dazu und fotografierten unsere Schuhe mit den
zurückgelassenen. Die vorbeiziehenden lachten herrlich und wir winkten ihnen
fröhlich zu.
Außerdem meinte Doreen, wenn wir den mit der gelben Farbe
sehen, den müssen wir unbedingt was zustecken, so schön wie der das mit den
Pfeilen gemacht hatte. Wir hatten uns nicht einmal verlaufen.
Die Frau mit dem bunten Hut sahen wir auch wieder. Wir
lächelten uns an.
Der Tag hatte sich wohl auch noch nicht recht entschieden,
wie er werden sollte und während wir einen Berg hochkrackselten, meinte Doreen
sie wolle wohl nun auch Karsten die Hautgeschichte verzeihen. Es wäre wohl
Zeit. Ich meinte das auch. Ich kannte
sie jetzt seit 16 Jahren. Wie lange musste das also zurückliegen. Wir waren
also der Meinung, dass wir doch auch ein paar Dinge zurücklassen sollten. Der
Weg hatte so viele Geschichten von uns gehört und aufgenommen und die Last, die
zu Anfang auf uns gelastet hatte, war gar nicht mehr so groß – auch im
eigentlichen Sinn. Irgendwie war das Gewicht unseres Rucksackes kleiner
geworden und das konnte nicht nur an den gegessenen Schockoriegeln liegen!
Nur meine Füße gewöhnten sich auch heute nicht an die
Lauferei.
Wir hielten wiedermal still, als die drei Deutschen aus Portomarin uns überholten. Ich war auch
der Meinung wir könnten ihnen auch verzeihen, dass sie behauptet hatten, wir
hätten geschnarcht. Ich hatte nichts bemerkt und auch Doreen sagte nichts. Also
konnte es ja wohl nicht so schlimm gewesen sein.
Wir waren heute eindeutig in Verzeihstimmung.
Die Landschaft wechselte ständig ihr Aussehen, mal war es
dunkel, dann wieder hell und die Sonne brannte erbarmungslos auf uns nieder.
Wir liefen vorbei am Flughafen und wussten eigentlich, dass
es jetzt nicht mehr weit sein konnte – lt. Straßenkarte sind es 10 km bis
Santiago - aber wie immer zog es sich.
In einem Cafe am Wegrand hielten wir wieder still. Da saßen
auch die drei Deutschen und während Doreen was zu essen besorgte – ohne sie
wäre ich zweifellos verhungert, denn wenn ich einmal saß, dann saß ich auch
fest. – da kam Araberhose vorbei. Sie hatten demnach doch was zu schlafen
gefunden. Schön, dass hier keiner verloren geht.
Dann kam Shae. Sie saß am Nachbartisch und wir kamen ins
Gespräch. Sie meinte, sie wolle nur bis Monte de Gozo – dem Berg der Freude.
Sie habe Angst anzukommen. Ihr tragisches und doch glückliches Lächeln sprach
Bände.
Ich hatte mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich
wusste nur, dass ich es vermissen würde, mit Doreen zu reden. Und immer wieder
hörte ich es im Hinterkopf rufen „In Santiago bekommt jeder den Empfang, den er
verdient“
Wie würde wohl mein eigener werden?
Wir würden in Santiago noch einen Tag Zeit haben und Shae
bestimmt wieder sehen. Unseren eingebauten „Joker“Tag hatten wir nicht
gebraucht – falls wir das heute schaffen. Die ganze Zeit habe ich Angst, dass
wir es doch nicht schaffen, dass wir umknicken, oder stürzen oder irgendwas
passiert. Man kann nicht wissen, was alles passiert.
Wir liefen durch die Orte und Doreen jammerte pausenlos,
dass wir zu früh hier wären. Wie schön musste es doch im Herbst sein, wenn die
Früchte reif sind, die Pflaumen, die Äpfel, die Birnen und die Weintrauben und
die Feigen (die sie auch unreif immer wieder aß). Aber ich meinte, so lange
können wir jetzt eben nicht warten, bis
alles reif ist, außerdem bin ich im Herbst 40 und dann schaffe ich diesen Weg
sicher nicht mehr.
Vor einem Pflaumenbaum, der hinter einem Abhang stand,
musste ich fast körperliche Gewalt anwenden. Wie Rumpelstilzchen sprang sie
davor hin und her und wollte die reifen Pflaumen pflücken. Ja, warum hingen die
wohl noch, weil die anderen Pilger vielleicht auch nicht hinkamen? Die
vorbeiziehenden Pilger lachten über ihren sichtbaren Schmerz, aber schließlich
gab sie auf und zog mit mir weiter.
In der nächsten Ortschaft sah sie ein paar Pilger, die wir
auch schon früher gesehen hatten, aber nicht mehr wussten wo eigentlich, die
Pfirsiche aßen. Völlig von Sinnen rannte sie los und wollte an einem Wagen, der
weiter unter stand Pfirsiche kaufen. Aber das war nur ein Lieferwagen, der
Schulspeisung für die Kinder brachte. Sie war total enttäuscht, auch wenn der
Mann ihr Orangen angeboten hatte. Die hätte er ihr gerne auch geschenkt.
Wir liefen weiter und vor lauter Plabberei hätten wir beinah
die Pfeile übersehen.
Auch zum Mittag hielten wir nicht an. Wir sahen den
Österreicher mit seiner Tochter und zogen nur winkend weiter.
Wenig weiter lagen Araberhose und ihre Freundinnen an einem
Brunnen. Sie schien den ganzen Rucksack nur mit Schuhen vol zu haben, denn
jedes Mal wenn wir sie sahen, hatte sie andere Schuhe an.
Wir liefen noch ein wenig – Doreen trauerte immer noch um
die Fruchte, als wir einen Getränkeautomaten sahen und unsere Flaschen
auffüllen wollten. Da sahs wieder die Frau mit dem bunten Hut und hatte die
gleiche Idee gehabt. Sie redete lustig auf uns ein und wir fragten sie nach dem
Kuscheltier, dass sie an ihrem Rucksack hatte. Es sei von jemanden, der vor
vier Jahren auf dem Camino war und sie trug es bei sich als eine Art Glücksbringer. Das verstanden
wir zumindest.
Wie sie hatte auch ich meine Schuhe ausgezogen. Auch wenn
jeder Wanderer sagt, man soll die Schuhe nicht zwischendurch ausziehen, hatte
mich das nie davon abgehalten und es war auch nie ein Problem.
An uns vorbei kam eine kleine Gruppe Assiaten – ohne Gepäck,
aber mit einer herrlich großen Kamera. Wir kiecherten vor uns hin.
Wir liefen und liefen und unsere Kinder waren das Thema auf
dem nächsten Abschnitt. Doreen beneidete mich, weil ich mit Max schon die
dankbare Phase erreicht hatte: er freut sich, wenn er kommt, was leckeres zu essen kriegt und
ich seine Wäsche wasche. Da kommt sogar mal ein Danke. Sie erzählte von Karos
Einstieg in die Buchhändlerlehre und es war nicht zu überhören, wie stolz sie
auf sie ist – mit Recht.
Dann wollte ich ihr die Geschichte mit der Band erzählen,
die ich von Max wusste, aber mir fiel eben der blöde Bandname nicht ein. Die
Geschichte konnte ich aber unmöglich erzählen, ohne diesen Namen und im Laufe
des Tages bauschte sich die Geschichte immer weiter auf. Eigentlich war sie gar
nicht so lustig, aber man konnte rein erzählmäßig was draus machen. Doreen war
gespannt wie ein Flitzebogen, aber ich weigerte mich. Die Geschichte mußte ich
ihr schuldig bleiben.
Es ging auf der Straße bergauf und bergab und von Santiago war nichts zu
sehen.
Vororte kündeten davon, das wir schon nah dran waren. (Aber
was ist für uns schon nah? Bei der sicher immer weiter verringerten
Stundengeschwindigkeit?)
Dann erreichten wir den Monte de Gozo. Hier war eine kleine
Kapelle und wir gingen ins Innere. Jedesmal wenn ich hier eine Kirche betrat,
wurde ich von einer seltsamen Ruhe erfasst.
Das große Denkmal, das auf dem Hügel errichtet worden war
und an den Besuch von Johannes Paul erinnerte sahen wir uns aber nur von unten
an. Der Österreicher und seine Tochter kletterten den Berg hoch, wir gingen
weiter.
Und dann war uns klar, warum es „Berg der Freude“ hieß:
Santiago lag vor uns. Angst und Freude stieg gleichzeitig in mir auf.
Nach all der Ruhe war mir nicht wohl in so eine große Stadt
zu laufen, andererseits war ich so gespannt auf die Stadt, die Kathedrale, und auf meinen ganz persönlich Empfang.
Wir lachten schon wieder, weil Heidi sich am Vortag extra
Kniebandagen gekauft hatte, um sich in der Kirche auf die Knie fallen zu
lassen. Wie kann man das nur so planen? Aber so ist sie eben, sie macht sich
ihren Plan im Kopf fertig und dann wird das eben so. Wir wären gerne dabei und
hätten das gesehen, aber eigentlich reichte uns schon die Vorstellung.
Endlich das Ortseingangsschild. Über die alte Holzbrücke kamen wir in die Stadt, der
Verkehr tobte um uns herum.
Von der Kathedrale war nichts zu sehen und auch die
Kilometersteine schien jemand geklaut zu haben. Und wo waren eigentlich die
gelben Pfeile?
Also ob der mit der Farbe nun doch Geld von uns bekommt,
müssen wir uns dann doch noch mal überlegen.
Endlich sahen wir einen Stein – mit Meterangabe: noch
2750Meter.
Wir ließen uns in einem Cafe nieder und beschlossen unsere
Eltern anzurufen – später würden wir sicher nicht mehr in der Lage sein und
bestimmt nur heulen.
Dann meinte Doreen, wir gehen jetzt einfach nicht weiter,
wir bleiben einfach hier und gehen erst morgen. Jetzt hatte sie es auch
erwischt.
Nach unendlich langer Zeit rafften wir uns dann doch und
gingen zielstrebig drauflos. Wir bewunderten wieder die freihängenden
Leitungen, die Bauweise der Wohnblocks und dann sah ich nichts mehr, ich nahm
weder die Gegend auf, noch die Menschen, noch was um mich herum passierte.
Irgendeine Truppe wollte uns einen Fragebogen in die Hand drücken, aber auch
mein Sprachverständnis war vollkommen weg.
Wir liefen und dann waren wir umgeben von den Mauern der
Kathedrale. Wir betraten sie von einem Nebeneingang.
Was wir dabei fühlten und dachten – das bleibt wohl in uns
selbst. Eine ganze Weile blieben wir still auf den Bänken sitzen.
Und da waren auch unsere drei Franzosen - sie waren schon
mit Flip Flops unterwegs und wir fielen uns in die Arme, als wären wir die
besten Freunde. Dann waren sie weg.
Als wir die Kirche durch den Haupteingang verließen, legten
wir uns mitten auf den Platz davor auf unsere Rucksäcke. Die Steine waren warm
und angenehm und wir starrten auf die Kathedrale, die in strahlendem
Sonnenschein vor uns lag. Der Himmel hätte nicht blauer sein können und ein
unglaubliches Glücksgefühl kam in uns auf – und Ruhe.
Ich habe keine Ahnung, wie lange wir da lagen – irgendwann
kamen Heidi und Reinhard, auch völlig aufgelöst vor Glück.
Doreen beschloss, sich erstmal ihre Campostella zu holen –
in einem Anflug von Sentimentalität hatte ich beschlossen, dass das Datum meines
Geburtstages drauf stehen sollte, also wollte ich bis morgen warten. Dann
suchten wir ein Quartier. Reinhard kümmerte sich wiedermal rührend um uns – die
Rucksäcke trugen wir aber diesmal selber voller Stolz: wir sind Pilger. Und das
Gewicht schienen wir auch kaum noch zu spüren.
Er rannte von Cafe zu Cafe und fragte nach einem Hotel oder
Pension und endlich fanden wir ein kleines Hotel in einer Nebenstraße, dass wir
für 60 Euro bekamen. Erst erschien es uns etwas teuer, aber es ging durch zwei
und so war der Preis dann doch erträglich, zumal es in unmittelbarer Nähe der
Kathedrale lag.
Wir verabredeten uns für 20 Uhr auf dem Platz und duschten
erstmal. Nicht ohne zuvor wieder einen Lachkrampf zu kriegen. Meine Füße sahen
jetzt schon ehr eklig aus.
Nachdem wir geduscht hatten, bemerkten wir erstmalig, dass
wir nicht das geringste Schminkzeug dabei hatte. Selbst ein Kajalstift war uns
zu schwer erschienen. Und bisher hatten wir ja auch keine Lust verspürt uns zu schminken,
aber heute musste doch gefeiert werden.
Pünktlich um Acht waren wir fast schon erholt auf dem Platz
und keine Spur von unseren beiden überpünktlichen!
Dafür sahen wir Richard, aber er hörte blöderweise nicht auf
den von uns verpassten Namen. Wir saßen auf den Steinbänken und kamen ins reden
mit ihm. Er war unglaublich ernst und erzählte uns, dass sich die drei
„Italiener“ erst in Frankreich kennen gelernt hatten und sich seitdem auch nicht
mehr trennen wollten.
Dann klärt er uns erstmal über das Geheimnis des billigen
Essens auf: das sind Pilgermenus, die nicht teurer sein dürfen und bestehen
immer aus 3 Gängen und einer Flasche Wein und einer Flasche Wasser. Aber der
Wein sei schlecht – was ich stellenweise bestätigen konnte. So tat sich wieder
ein Geheimnis des Weges vor uns auf. Seinen kleinen Scherz hatten wir ihm verziehen und umarmten die drei. Dann waren
sie weg.
Heidi und Reinhard nährten sich schnellen Schrittes – sie
wären in dem umwerfenden Hotel zum Essen gewesen. Wie - Heidi in dem Hotel?
Heidi der Sparfuchs – das ging doch gar nicht! Hatten die Abschied gefeiert
oder was war das?
Aber wir erfuhren auch sogleich das große Geheimnis.
Das Hotel hatte bei seiner Eröffnung die Auflage erhalten,
jeden Tag 10 Pilgern, die eine Compostella vorweisen können, ein kostenloses
Pilgermenu vorzusetzen. Herrlich – ich war begeistert. So was hatte ich
wirklich noch nie gehört.
Wir suchten uns ein Cafe und hatten auch Hunger – nicht
groß, aber spürbar. Und nun taten sich ganz andere Preise vor uns auf. Auch
wenn ich noch Pilger war – Doreen hatte mit dem Ausstellen der Campostella den Status schon aufgegeben,
gab es hier eben keine Pilgermenus mehr.
Wir entschieden uns für Jacobsmuschel – nicht ganz billig,
aber sehr schmackhaft und wenn man schon mal hier ist, dann muß das wohl sein.
Wir tranken Wein, lauschten den Straßenmusikanten und es war
einfach nur schön.
Als wir ins Hotel gingen, war Doreen total geschafft. Sie
wollte einfach nur ins Bett.
Wir resümierten, dass die Sache mit Heidi und Reinhard wohl
vorbei war, er ginge ihr auf die Nerven. Und wir liebten ihn umso mehr, so wie
der sich um uns kümmerte.
Dann schliefen wir ein, ich hörte mein Handy piepen- sicher
Glückwünsche zu meinem Geburtstag, aber ich wollte nicht aufstehen. Wozu
gratulierte man mir? Ich wollte es nicht lesen. Welches Recht hatte ich
Glückwünsche entgegen zu nehmen zu etwas, wofür ich gar nichts kann? Wenn mir
jemand zu dem Weg gratuliert hätte – ja, das hatte ich mir verdient und darauf
war ich unsagbar stolz. Doreen verharrte, mit der Kerze in der Hand und wartete
darauf, dass ich mich regte. Sie hatte tatsächlich ein Teelicht aus Deutschland
mitgebracht, um mir eine Kerze anzuzünden, aber ich schlief einfach zufrieden
und glücklich ein.
07.07.07
Ich erwachte vom Glockenleuten der Kathedrale und schlich
mich aus dem Bett, wusch und kämte mich und kletterte aus dem Fenster, um den
Tag zu begrüßen. Ich fühlte mich herrlich erholt, zufrieden und glücklich.
Doreen wachte auf. Sie sagte: „Dann machen wir es jetzt mal
so..“, zündete die Kerze an und gratulierte mir. Ich war so gerührt von der
mitgebrachten Kerze, dass ich fast wieder geheult hätte. Der Kajastift war uns
zu schwer. Und sie hatte die Kerze mitgeschleppt – echt schön.
Wir gingen frühstücken und da kam auch die Hotelangestellte,
brachte mir eine brennende Kerze und Pralinen und sagte in ihrem herrlich
eingefärbten Spanisch-Englisch „Happy Birthday“
Und hier in diesem wunderbaren Hotel gab es sogar Käse und
Wurst zum Frühstück. Das war ja nun mal was ganz anderes.
Dann kam jemand die Treppe herunter – die Frau mit dem
bunten Hut – wir riefen und winkten und sie war genauso freudig überrascht wie
wir. Wir fielen uns wieder in die Arme. Santiago ist eine tolle Stadt!!
Wir liefen durch die Straßen und ich war nun bereit, meine
Campostella abzuholen. Es war mein schönstes Geschenk. Die Frau am Schalter
lächelte mich an und fragte, ob ich den ganzen Weg gelaufen sein. „Si“, sagte
ich, nicht ohne Stolz in meiner Stimme. Ich war jeden Meter gelaufen, hatte all
die Schmerzen ertragen, hatte gelacht und geweint, ja, ich hatte sie mir
redlich verdient.
Und da stand Socken-Jockel. Er war also auch angekommen. Wir
umarmten uns, auch wenn wir dabei kein gutes Gefühl hatten – wir mussten an
seine Läuse Geschichte denken. Doreen war sichtlich erleichtert, dass sie eine
Mütze aufhatte. Und da war auch Keith. Aber er sah uns nicht.
Wir schlenderten zurück zum Vorplatz der Kathedrale und
kauften die kleinen Glöckchen, von denen wir annahmen, dass Hape sie gemeint
hatte – ich wollte sie zu Hause verschenken. Wer das Buch gelesen hatte, wusste
sicher was ich meinte.
Aber die gute Frau konnte uns nicht wechseln, so nahmen wir
eben gleich mal vier. Auch wenn wir nicht wussten, was wir damit anfangen
sollten.
Erst später, als wir schon zur Messe gehen wollten, sahen
wir Keith mit Shae vor der Kirche. Sie war so unglaublich glücklich, ihre Augen
strahlten, so wie unsere gestrahlt hatten.
Sie war am 23. Mai aufgebrochen und heute hier angekommen.
Wir konnten nicht anders, als ihre unsere Bewunderung auszudrücken.
Wir verabredeten uns abends n der Moskito Bar. Keith meinte,
wir würden sie schon finden, wir sollen einfach den Weg zurückgehen.
Wir trafen uns mit Heidi und Reinhard um in die Messe zu
gehen. Sie gratulierten mir zum Geburtstag – Ups, das hatte ich ja total
vergessen, es war so was von unwichtig und egal geworden.
Die Kirche war zum Brechen voll und Heidi meine, man solle
doch nur die gelaufenen Pilger reinlassen. „Ich glaube, Gott ist für alle da.“,
konnte ich mir nicht verkneifen ihr zuzuzischen. Sie kann wirklich schlimm
sein.
Wir hatten uns am Fuß einer Säule niedergelassen und eine
Nonne trat vor und begann zu singen. Ihre Stimme war so rein, so krafterfüllt
und voller Freude, dass wir sie vor erstaunen nur anstarren konnten.
Ich hatte keine Ahnung, was sie sang, oder was gepredigt
wurde, aber ich fühlte wieder das, was ich in all den Kirchen am Weg gefühlt hatte. Normalerweise fühle ich mich
immer irgendwie beklemmt in Kirchen, aber nicht hier. Es war wie Goethe sagte
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“
Die Pilger wurden verlesen, die am Tag zuvor in Santiago
angekommen waren, nicht namentlich, nur aus welchem Land und von wo sie
gestartet waren. Es war eine unglaubliche Anzahl und die Liste schien kein Ende
mehr nehmen zu wollen.
Wir verließen die Kirche und da trafen wir Araberhose. Es
ist unglaublich, man fühlt sich so empfangen von dieser Stadt und überall
trifft man Bekannte, die alle frohgelaunt, glücklich und mit sich im Einklang
sind. Wir umarmten uns und wünschten uns einen schönen Tag.
Als wir später beim Essen saßen, kam auch Raul auf uns
zugerannt.
Es war einfach nur schön.
Ich war glücklich, nicht so ein Rennpilger gewesen zu sein,
sondern dass wir uns die Zeit genommen hatten, den Weg mit seinen Menschen
kennengelernt zu haben, so viele Nationen, so viele unterschiedliche Menschen
und wenn ich jetzt über den Satz „Jeder bekommt den Empfang, den er verdient“
nachdachte, konnte ich nur feststellen, dass wir wohl so schlechte Menschen
nicht sein konnten – es war ein schöner Empfang in der Stadt des Heiligen.
Ich hatte nicht wirklich Hunger, ich genoß einfach das
Feeling, die glücklichen Menschen um mich herum, die Sonne, einfach alles.
Verschiedene Leute erreichten mich sogar auf dem Handy – die
unmöglichsten Glückwünsche bekam ich und die dümmsten Sprüche.
Wenn all die nur wüssten, was es bedeuten kann hier zu sein,
wäre die Wortwahl sicher ein wenig anders ausgefallen.
Meine Eltern rief ich zurück, sie hatten mehrfach währned der
Messe versucht mich zu erreichen und dankte meiner Mutter, dass sie mich zur
Welt gebracht hatte. Ich glaube uns standen gleichzeitig die Tränen in den
Augen.
Reinhard zahlte das ganze Essen, ich war total schockiert
und erfreut von dieser Geste. Er ist wirklich ein netter Mensch.
Wir durchstreiften die Stadt und plötzlich hatten wir die
Idee, Heidi und Reinhard was zum Abschied zu kaufen – Reinhard bekam eine
kleine Pillendose für seine Zuckertabletten und Heidi ein Armband mit dem Pfeil
– vielleicht verlor sie so nicht mehr so oft ihre Richtung. Wir fanden das
passend und kiecherten schon, weil sie sicher ganz gerührt sein würden.
Wir gingen zurück ins Hotel und wollten noch ein wenig
schlafen, bevor wir uns in den Abend stürzen wollten.
Es war ein komisches Gefühl, aber die Füße taten nicht weh.
Ich war auch nicht so kaputt, dass ich hätte schlafen
können, also lagen wir einfach da und redeten.
Wie würde ich das vermissen – ich wusste es schon jetzt.
Ich entschloß mich, ihr eine Geschichte zu erzählen, die ich
schon auf dem ganzen Camino mit mir rumgeschleppt hatte und die ich auch noch hier
lassen wollte.
Doreen ist ein klasse Zuhörer und am Ende meinte sie nur
„Das tut mir echt leid.“ Damit war alles gesagt.
Um halb sieben wollten wir uns wieder auf dem Platz treffen,
wir wollten ja zu dem Pilgermenu.
Als wir in der Tiefgarage standen und warteten, umgeben von
ein wenig Schimmel an der Decke, ahnte ich schon, dass das wohl zu einem der
peinlichsten Geschichten in meinem Leben gehören würde.
Sieben Franzosen waren da und wir waren zu viert, also war
einer zuviel. Reinhard meinte gleich, dass er nicht mitgehen würde – zu unseren
Gunsten darauf verzichten. Aber das kam ja wohl gar nicht in Frage. Entweder
gingen wir alle, oder keiner. Oder Doreen und ich gingen woanders hin– was uns
beiden eigentlich recht gewesen wäre. Die Franzosen probten schon mal den Aufstand
– ich hatte nie so schlimme Leute kennengelernt.
Man fuhr die tollsten Schlitten an uns vorbei und langsam
kamen wir uns vor wie Bettler.
Endlich kam der Mann, der die Compostellas einsammelt und
meinte, es sei ihm egal, dann sollen wir eben alle 11 gehen.
Reinhard und Heidi stürmten voran und wir konnten kaum
Schritt halten.
Das Hotel war wirklich eine Pracht. Wir durchliefen einen
Raum, in dem gerade ein Hochzeit oder so was stattfand. Die Leute waren
hochelegant gekleidet. Das Bettlergefühl wurde dadurch nicht unbedingt weniger.
Wir liefen hinter den anderen her, durch Gänge, vorbei an Zimmern die die
Rückseite des Hotels zeigten in die Küche. „Nee“, meinte Doreen „eigentlich
wollte ich nie wieder in eine Großküche gehen.“
Heidi und Reinhard waren die ersten, griffen nach Tabletts
und begannen aufzuladen – alles viermal. Die Franzosen waren kurz davor uns zu
lünchen. „Laß uns abhauen.“, fasste Doreen meine Gedanken ziemlich treffend
zusammen. Wir wollten an den Franzosen vorbei und Heid und Reinhard Bescheid
sagen, aber die grimmigen Blicke der Franzosen ließen das nicht zu. Ich
vermutete, sie hatten bestimmt auch Messer dabei und würden sich nicht scheuen,
die auch mal einzusetzen.
Heidi und Reinhard hatten drei Teller erbeutet – den vierten
hatten die Franzosen von ihrem Tablett genommen und wir gingen in einen der
Räume, an den wir vorher vorbeikommen waren.
Weder Doreen noch ich hatten Hunger. Das war sozialer
Abstieg. Das sind bestimmt die spanischen Tafeln! – zumindest hatten wir den Eindruck.
Ich fühlte mich so erniedrigt, so mies behandelt, wie ich es
selten vorher erlebt hatte und schüttete mehr oder weniger den Wein in mich
hinein. Die Franzosen, die nun glücklich waren, dass sie alle ein Essen
erbeutet hatten, waren etwas milder gestimmt – zumindest war keiner mehr bereit
ein Messer zu ziehen. Als uns ein Kellner Bananen brachte, glaubte ich völlig
an die spanischen Tafeln. Also Frank ist schon alles an Bananen, Doreen ist ja auch
gerne mal unreife, aber die Dinger da, die hätte ohne Frage keiner von beiden
angerührt.
Ich wollte nur noch raus hier. Das Essen rührten wir kaum an
und verließen wirklich fluchtartig den Ort des Grauens.
Wir konnten es nicht fassen Heidi und Reinhard hatten sich
das auch noch zweimal hintereinander angetan! Freiwillig!
Nichts wie weg und alles vergessen – war unser einziger
Gedanke.
Wir suchten uns ein kleines Cafe in einer Nebenstraße und
vermieden es tunlichst, von diesem Ereignis auch nur andeutungsweise zu
sprechen.
Endlich hatten wir unweit der Kathedrale ein Plätzchen
gefunden, tranken Wein und es war Zeit den beiden unsere kleinen Geschenke zu
übergeben. Wir hatten sie mit dem eingepackt, was uns zur Verfügung stand. Nicht
gerade supertoll, aber niedlich. Die beiden freuten sich total und wir waren
glücklich, ihnen eine Freude gemacht zu haben.
Dann wollten wir weiter in die Moskito Bar. Heidi und
Reinhard verabschiedeten sich. Morgen würde Reinhard weitergehen bis ans Meer,
Heidi würde zu uns in Hotel kommen und wir wollten zusammen zum Flughafen. Wir
drückten Reinhard ein letztes mal und wünschten ihm Glück.
Dann gingen die beiden.
Albern wie wir waren, versteckten wir uns hinter einem
Laster um zu sehen, ob die beiden Hand in
Hand weitergehen würden. Wir kicherten uns halb krank dabei. Dann gingen
wir den Weg zurück. Erst jetzt fiel uns auf, wie wenig wir auf den letzten
Metern unseres Weges wahrgenommen hatten. Erst jetzt sahen wir die alten Häuser,
die kleinen Kirchen und die engen Gassen. Nur mühsam fanden wir den Weg, wir
hatten keinerlei Erinnerung mehr.
Und dann waren wir schon da – die Moskito Bar.
Und da waren Keith und seine Tochter Racel mit ihrem Freund
Simon und natürlich Shae.
Wir freuten uns wie verrückt.
Die Bar war eine uralte Kneipe, wo der Wein direkt aus dem
Faß gezapft wurde. Das war nun wirklich wild romantisch. Bezahlen durfte ich
auch nicht, schließlich sei es mein Geburtstag und wäre das unmöglich!
Wir tranken Wein aus Sakke Schälchen – hatte ich bisher auch
noch nicht getan.
Simon meinte, mein Englisch wäre gut, obwohl ich immer wieder
bat langsam zu sprechen. Aber wir verstanden gut. Dann bekamen wir wieder
unsere allabendlichen Lachkrämpfe. Wir konnten uns gar nicht wieder beruhigen.
So was schlimmes, die mussten wirklich denken, wir wären absolut gedopt. Aber
egal was in diesem Sakke Schälchen war, ich wollte mehr davon!
Kurz bevor wir
aufbrachen fragte mich
Keith „And what woud you do with the Rest of your Life?“
Ich fand keine Antwort und er meinte, ich solle einfach
darüber nachdenken.
Nun war ich mir restlos sicher, dass der uns geschickt
worden war.
Ein Mensch, der alles in einem verkörperte: Rock’n’Roll,
Philosoph, Redner und Schweiger...
Das Trüppchen zog weiter und wir wünschten ihnen alles Gute.
Wir zogen durch das nächtliche Santiago und es zeigte sich
wieder von seiner schönsten Seite. Noch ein Cafe musste sein, bevor wir endlich
unser Abenteuer beenden konnten.
Glücklich und traurig schliefen wir ein.