01 Juli, 2007

Nuestro Camino - Unser Jacobsweg


01.07.07

Wir sitzen tatsächlich im Flugzeug. Ich kann es nicht fassen!
Meine Gedanken hüpfen ständig hin und her und finden keine Ruhe – mir fallen tausend Sachen ein. Ich versuche mir keine Sorgen zu machen: um die Kinder oder Frank oder ganz und gar die Arbeit, aber so einfach ist das wohl nicht. Ständig schweifen meine Gedanken ab und kehren nach Hause zurück.
Und wie komme ich wohl zurück? Wird der Camino mich verändern? Oder sind das alles nur Gerüchte? Legenden?
Von Tränen ist noch nichts in Sicht- die Vorfreude ist riesig. Obwohl, wenn ich an das Gewicht meines Rucksackes denke...
Doreen schläft – die Glückliche.
Mein Körper ist genauso rastlos wie meine Gedanken, so dass ich schon mal gleich hier im Flugzeug loslaufen möchte.
Und während sie entspannt und geduldig wartet, gebe ich eben auch mal gern das eingesperrte Tier, das hin und her läuft.
Auf dem Parkplatz auf der Autobahn haben wir schon mal spanische Gesten geprobt, die in meinem Sprachführer abgebildet sind. Wir haben uns bekringelt und festgestellt, dass wir die Geste „Obacht“ bestimmt oft brauchen.


Und dann in der Abfertigungshalle, hatte doch jemand seinen Rucksack stehengelassen, woraufhin der gesamte Bereich gesperrt wurde. Die unruhige Katrin sah schon wieder das ganze Programm vor sich ablaufen: Flugzeug startet nicht, Anschlußflieger in Madrid weg, vom Bus nur noch die Rücklichter... Katastrophe über Katastrophe.
Schließlich fand man die „Täterin“. Sie hatte ihren Rucksack einfach vergessen. Doreen hat die Ruhe, sie meinte nur: „Armes Mädchen, wir können sie ja in unser Abendgebet einschließen.“
Ja, und nun sitzen wir in diesem riesigen Lienenflieger und es gibt nicht mal was zu essen. Oder besser gesagt, man muß dafür auch noch bezahlen. Bekommen haben wir ein Kuchenbaguette mit Schinken – fettigem Schinken. Aber so hungrig wie wir waren, haben wir es verschlungen. Ach nee – ich habe es verschlungen und Doreen hat es verspeist. Ich sollte vielleicht auch mal meine Eßgewohnheiten überdenken!!
Obwohl der Lienenflieger riesig ist, scheint er jedes Luftloch mitzunehmen, das sich ihm bietet. Doreen quittiert das Ganze mit einem Brechanfall. Ich kenn wirklich niemanden persönlich, der im Flugzeug bricht - sie ist wirklich einzigartig!














In der Abfertigungshalle in Frankfurt  trafen wir auf die „Gingo“ Gruppe - ein Haufen Menschen, die wirklich alle einen Mini Gingo Baum mitgenommen hatten und mit uns nach Madrid flogen. Als sie sich in Madrid zum Gruppenfoto aufstellten, gab es ein lustiges Gerangel und die dabei runtergefallenen Blätter sammelten wir gleich auf. Vielleicht würden sie uns ja Glück bringen.

Und dann beschliessen wir, dass alles als Test zu sehen  und stellen uns vor, man würde uns beobachten und uns Punkte auf Toleranz, Hilfsbereitschaft oder so geben. Also bemühten wir uns, den Test auch zu bestehen.  Das war echt lustig. Der dicke Mann, der uns schräg gegenübersitzt ist nämlich gar nicht dick, der sondern hat eine Kamera unter seinem Pullover  um uns zu filmen. Als dann der Dicke neben uns im Flugzeug saß, verging uns dann aber doch das Lachen.

Aber wir fanden das Lachen sehr schnell  wieder, denn als ich auf meinen  Flugschein blicke, stelle ich doch fest,   dass da Mr. steht. Ich bin    entsetzt. Wirke ich wirklich so männlich?  Aber es ist ein weiterer Grund, dass wir uns in Lachen auszulösen scheinen. Außerdem stellte Doreen fest, dass ich mir die Leute nicht wirklich gründlich ansah. War ein Mann blond, behauptete ich später steif und fest, er hätte schwarze Haare gehabt und beim Alter verschätzte ich mich ganz erheblich. Also Botschaft an mich:
                 Sieh dir Menschen genauer an.
Endlich im Hotel – unfassbar, wir haben es geschafft. Wir sind in einem Hotel in Sarria – unserem Startpunkt. Haben die Gingo Blätter schon ihre Wirkung verbreitet?
Ich hatte schon gedacht, wir schlafen auf der ISO Matte auf dem Boden. Und genau genommen, ist Doreens ISO Matte auch noch eine Yoga Matte.
Der Flug von Madrid nach Santiago schien gar nicht mehr starten zu wollen und wir bekamen gleich eine Gratislektion in spanischer Gelassenheit – manana, später wird alles werden.
Aber gerade haben wir auch den Grund erkannt – Doreen hatte eine Wasserflasche im Rucksack und die fehlt jetzt – so ein Attentäter aber auch diese Frau! War die wachsame Flughafenkontrolle doch dahinter gekommen, dass sie Sprengstoff schmuggeln wollte.
Im Flieger hatte ich wohl meinen ersten „Camino –Anfall.“ Doreen löste ihn mit den Worten aus „Ich will manchmal nicht mal die gleiche Luft wie andere einatmen – ist das diskriminierend?“
Ich fand`s nur ehrlich. Wenn ich an all die Lügner um mich herum dachte, wird mir schlecht. Und ich philosophierte nicht nur still darüber. Warum müssen mir irgendwelche Leute Geschichten erzählen, von denen sie selber wissen, dass sie einfach nur frei erfunden sind und deren Wahrheitsgehalt so weit entfernt sind von der Wahrzeit wie Deutschland vom Mittelmeer. Es hat mich also schon gepackt, über alles mal nachzudenken und neu zu ordnen.
Den Plan mit dem Bus nach Sarria zu kommen, hatten wir schon in Madrid fast ad acta gelegt, verfolgten ihn aber dennoch weiter, weil wir um 21.10 Uhr endlich aus dem Flieger waren und der Bus  um 21.30 in Santiago losfahren sollte. Wir rannten erstmal kopflos hin und her, getreu dem Motto: Hauptsache rennen und kamen dann am Taxistand zu stehen. Mit unseren absolut perfekten Spanisch und Englisch Kenntnissen fanden wir dann heraus, dass  es no posible ist, nach Sarria mit dem Bus zu fahren. Eine Spur Panik machte sich in mir breit. Ich will aber jetzt nach Sarria, schoss es mir durch den Kopf und beneidete Kleinkinder für ihr Vermögen, sich auf den Boden zu schmeißen und so lang zu strampeln, bis sie ihren Willen kriegen.
Ich wollte aber  nach Sarria kommen und zwar noch heute, um morgen früh auf dem Camino zu sein.
Und dann fuhren wir mit dem Taxi. Ich bin mir sicher, dass es das nicht so oft gibt: Pilger die mit dem Taxi vorfahren, um anschließend zurück zu laufen- ist das nicht wirklich dekadent?
Die Strafe für unsere Dekadenz kommt unweigerlich. Doreen ist nämlich ein echter  Freund, denn auch wenn sie weiß, dass sie Autofahren nicht verträgt, setzt sie sich hinter zu mir mit der Folge, dass sie wieder brechen muß.
Und ungeachtet der Tatsache, dass man sich um keinen Preis in Spanien neben dem Taxifahrer setzt (lt. unsere Sprachführer), steigt sie dann doch mal lieber vorne ein. Ungewöhnliche Ereignisse erfordern eben ungewöhnliche Maßnahmen. Getreu dem Motto „Hat man sich erstmal blamiert lebt es sich ganz ungeniert“  können wir jetzt keinerlei Rücksicht auf Etikette nehmen
Und außerdem hat der Taxifahrer von seiner Fahrt eh keine Ahnung. Ich glaube, ich würde den Weg problemloser finden.
Aber wir sind angekommen und endlich ergreift mich die Ruhe, die ich schon den ganzen Tag gesucht hatte.
Der nette junge Mann im Hotel sprach nicht mal ansatzweise ein Wort deutsch oder englisch, aber er war clever und googelte ein Übersetzungsprogramm spanisch - englisch. Hatte der eigentlich gemerkt, dass wir deutsch sind? Aber wie auch immer -wir bekamen unser Zimmer und wir lernten
                   Mach bloß keinen Plan, es kommt, wie es kommen soll.





02.07.07

Ich habe Füße und Schulter! Von den kleinen Schmerzen wie etwa Waden, Oberschenkel, Hüfte, Arme, Hände und was sonst noch an Muskeln, Knochen und Sehnen in mir ist, will ich gar nicht erst reden.
Wir essen gerade zu Abend und am Nachbartisch sitzt Schnabbel in männlicher Ausführung. Also bei Allem Verständnis - wer weiß wo das Kamerateam gerade ist – wir müssen ja nicht alle lieben. So wie der seine Umwelt kommandiert, übersteigt das jede Toleranzschwelle.

 
Aber der Reihe nach:
Als wir heute früh erwacht sind, waren wir voller spannender Freude. Die erste kalte Dusche kam aber in Form des Frühstücks. Essen Spanier kein Käse oder Wurst zum Frühstück? Jedenfalls fanden wir nichts dergleichen auf dieser Art von Bufet, aber das kann ja uns „Hardcore-Pilger“ nicht abschrecken. Also nahmen wir die angebotene Marmelade dankbar hin. Vom Kaffee nahm ich erstmal reichlich. Der war nicht gut, aber sehr schwarz- bis wir dahinter kamen, dass es auch Milch gibt.
Wir checkten aus – aber was jetzt? Wir brauchten einen Stempel, der bezeugt, dass wir hier starten. Und das mit dieser Sprachbarriere! Aber Hände und Füße sind auch zum Reden gut und wir bekamen unseren Stempel im Hotel. Welch Wunder. Wir hatten keine Ahnung davon und dachten, die kriegt man nur in den Pilgerherbergen. Ein unerwarteter Segen. Und dann standen wir vor dem Hotel und hatten nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung wir gehen sollten. 



 
Aber da standen noch mehr, die so aussahen, als hätten sie Lust zum Wandern und wieder kamen uns Hände und Füße zu Hilfe und wir erfuhren wohin wir zu gehen hatten: Kirche, Friedhof, Kloster – gut, dass wir ein paar Worte englisch beherrschen. Die Sarria Familie, die uns den Weg wies,  war eine lustige Truppe, deren Gepäck wohl der Vater mit Auto weiterfuhr, da sie  nur mit leichtem Gepäck unterwegs waren. Wir hatten sie kurzer Hand so getauft, weil wir in Sarria waren und das offensichtlich eben eine Familie war.

Wir liefen also los.
Die erste Muschel, die wir sahen, musste gleich fotografiert werden – auch wenn es nur ein Mülleimer in Form der Jakobsmuschel war. 


 
Und dann bekamen wir unser erstes Buen Camino – uns standen gleichzeitig die Tränen in den Augen. Wir waren aufgenommen in die herrliche Gemeinschaft der Pilger. Und unser Hola klang vom ersten mal an so authentisch, dass man uns glatt mit Spaniern verwechseln konnte.

Der erste Laden war natürlich meiner. Ich hatte mich verliebt – in einen Pilgerstock und musste ihn haben. Er blieb bei mir und erwies sich als wirklich nützlich. (Nur manchmal hatte ich den Eindruck, dass er mir den Weg erschweren wollte.)
Wir entpuppten uns auch gleich als die gemütlichen Pilger – das Rennpilgertum sollte uns bis ans Ende unserer Reise ein Rätsel bleiben. So schlenderten wir über den Friedhof und die Gänsehaut, die sie uns über den Körper trieb, war unbeschreiblich. Unfaßbar erschien uns auch die Tatsache, dass alles mit Kunstblumen ausgeschmückt war – und das in einem Land, in dem die Blumen, für die wir ein Vermögen bezahlten quasi wie Unkraut wuchsen.
Die Wegweiser –gelbe Pfeile - waren unübersehbar; an einem fanden wir auch einen Zettel für Monika aus Feiburg und wir ließen uns begeistert aus, welche Geschichte wohl dahinter steckte.

Eigentlich hatte ich mir vorgestellt, dass wir auch alleine laufen würden, aber wir waren so voll mit Geschichten, dass wir permanent redeten und lachten. Und zwischendurch einfach nur die Natur genossen.



Doreen erzählte von Käthe und deren herrlichen Redewendung „Da halten wir jetzt mal still.“ Und wir hielten öfters still.



Auch hatte sie die Versorgung mit Schokoriegeln wirklich ernst genommen. Gegen Hape's spärlichen Vorrat hätte man meinen können, wir wollten Jahre unterwegs sein.  
Die Landschaft erinnert mehr an Deutschland, als ich das angenommen hatte. Die Eichenwälder und die Feldern sind wie zu Hause, jedoch die kleinen Höfe mit ihren Häusern sind einfach nur anders und wunderschön in ihrer Einfachheit. Stellenweise scheinen nur Steine übereinander geschichtet worden zu sein.

Die Wege bergauf sind einfach mörderisch und Doreen nimmt sie mit einem Schwung, dass ich sie einfach beneide. Aber die kleine Asiatin, die wir überholen scheint genauso ausgelaugt wie ich. 

 
Und dann trafen wir den Sing-Pilger.  Ein Spanier, der lauthals sang und uns auf spanisch komplett zutextete. Wir verstanden kein Wort – nicht mal andeutungsweise. Aber ihn schien das nicht im Geringsten zu irritieren. Er sang und winkte und rannte an uns vorbei, als wolle er einen Marathon gewinnen. Wir sahen ihn immer wieder an uns vorbeirennen, auch wenn wir nicht bemerkten, dass wir ihn überholt hatten.


Dann sprach uns ein Deutscher an. „Sie sen auch Deutsch.“ Fing er in einem herrlichen Dialekt an und outete sich auch gleich als Wessi. Na mal gucken. Ein merkwürdiger Mensch. Es stellte sich heraus, dass er Polizist war und kurz vor der Pensionierung stand. Irgendwo in Frankreich war er losgelaufen und  wir schämten uns fast, weil wir zugeben mussten, dass das heute unser erster Tag sei. „Sei Kunschaft habe ihn nach Mannheim verschlage“. Und „mir san bestimmt besser in Russisch“ und „er spräche ja vorangisch französchisch.“ Wir hatten nur noch Fragezeichen m Gesicht. Wer hatte uns denn den geschickt und vor allem warum war er uns geschickt worden?  Er sprach immer von „sei Kunschaft:“ und dass er „ins Gschääft“ ginge.
Das war auch der Grund, warum wir einige Kilometer brauchten, bis wir seinen Beruf errieten.
Er lief dann weiter, weil wir kurz pausierten.
Aber sein Fingerzeig auf unsere Russischkenntnisse, ließ uns einen Wettbewerb beginnen, wer sich an die meisten Vokabeln erinnerte.
Ich glaube ich gewinne den Wettbewerb, da ich mich sogar an ein russisches Geburtstaglied erinnere. Doreen meinte, sie würde das gerne hören, wenn ich das zusammen mit Frank singe. Manchmal hat sie merkwürdige Wünsche.
Aber gegen Mittag – der Hunger nagte schon an uns, sahen wir ihn in so einem kleinen Dorf wieder. Und es war schön, jemanden zu sehen, den man kennt. Also setzten wir uns zu unserm netten Polizisten und aßen mit ihm Plötzlich erschien er uns gar nicht mehr so seltsam.
Und als uns dann unsere Sarria- Familie überholte, fühlten wir uns richtig heimisch. Es ist ein gutes Gefühl.




Vom ersten Moment an, machten wir Bekanntschaft mit den Unmengen Hunden und Kühen, die uns begleiteten. Und wir stellten fest, dass sie uns gar nicht zu beachten schienen, oder dass sie mehr Angst vor uns, als wir von ihnen hatten. Vielleicht kann man daraus was lernen:
                 
               Sei offen und zeig keine Angst.
 


Gestärkt setzten wir unseren Weg fort, durch die Wälder, die Wiesen und die kleinen Bauernhöfe.
Doreen ist begeistert von der Vegetation – Fingerhüte wohin man schaut – nur die beschriebenen Schmetterlinge fehlen. Dafür sehen wir aber jede Menge andere Tiere – ein neugieriges  Eichhörnchen schafft es gleich auf Platz eins unserer "oh -wie niedlich" - Skala. Der Camino zeigt sich wirklich von seiner schönsten Seite.






 Doreen ist nicht so ein Jammerlappen wie ich. Sie hat zwar auch Schulter – das Gewicht ist einfach unglaublich. Manchmal erscheint es wirklich so, als schleppe man die Last seines ganzen Lebens mit sich herum – und das ist echt viel – aber sie jammert nicht so wie ich. Und außerdem ist sie rein fußmäßig besser trainiert als ich.

Ich treffe schon langsam Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Schmerz in meinen Füßen: da wären zunächst die Schmerzen, wie Nadelstiche – so in der Mitte der Füße, dann der Druck – vorrangig in den Fersen und dann dass Gefühl, als wären die Füße nur noch platt und mit jedem Schritt würden sie platter. Auch glaube ich, dass meine Zehen langsam zu einem einzigen schmerzhaften Klumpen verschmelzen.


Gegen den Schulterschmerz klemme ich den Daumen zwischen Schulter und Rucksack, bis dann auch meine Daumen zu schmerzen beginnen. Gegen Ende unseres Tages – wir haben keine Ahnung, wie weit es noch ist – benutze ich meinen Stock wie eine Art Ruder. So kann ich beide Füße gleichzeitig entlasten. Doreen lacht nur noch und ihr Lachen ist echt ansteckend.
Als wir dann von Pilgern überholt werden, die komplett frisch und flotten Schrittes an uns vorbeimarschieren, protestiere ich laut. „Die können unmöglich den ganzen Tag gelaufen sein! So frisch und erholt kann man nicht sein!“
Langsam macht sich der Wahnsinn breit und auch Doreen scheint am Ende. Wie gesagt, sie jammert halt nicht so laut wie ich. Dafür können wir nun kaum noch laufen vor Lachen.




Alles ist komisch, vor allem die Schmerzen, als plötzlich und unerwartet Portomarin in der Ferne  auftaucht. Und obwohl es nur wenige Kilometer weg ist, wissen wir, dass wir noch mindestens eine Stunde laufen müssen, bis wir es erreichen. Ich stelle schon mal fest, dass ich meine Füße in den See tauchen werde, der dann wahrscheinlich nicht mehr da ist, weil ich ihn komplett verdampfen werde – nur mit der Hitze meiner Füße.
Endlich das Schild – Portomarin. Doch da taucht vor uns eine Treppe auf, die mir unüberwindbar erscheint. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schaffen werde ca. 100 Stufen zu überwältigen mit dem Rucksack auf dem Rücken – na, hoffentlich stürzte ich nicht einfach wieder rückwärts runter der natürlichen Richtung  meines Rucksackes folgend. Aber noch mehr Pilger haben sich am Fuße de Treppe versammelt und scheinen alle das Gleiche zu befürchten. Also marschieren  wir alle mehr oder weniger schnell nach oben. Alle haben es geschafft – keine Verluste unterwegs. Wir machen Fotos und sind einfach nur glücklich und ich will nur noch eins: ein Bett und nie wieder laufen!


















Wo ist das nächste Hotel? Keine andere Frage ist mehr in mir und nach Suche ist mir schon gar nicht. Was hatte nur Hape darüber geschrieben? Ich habe nicht die geringste Ahnung und wir folgen den Schilder für Albergue. Der Polizist hatte erzählt, dass es hier eine Herberge gibt für 160 Leute in einem Saal – eine Horrorvorstellung! Aber wir haben Glück- wobei ich mir nicht sicher bin, dass man es wirklich so bezeichnen kann. Wir erwischen ein Zimmer für fünf. So hatte ich mir einen entspannten Abend eigentlich nicht vorgestellt. Mit uns sind zwei Radpilgerinnen aus Frankreich und 3 Deutsche – älteren Kalibers, die uns behandeln wie die Unwissenden, da wir ja erst einen Tag laufen. Haben die eine Ahnung. Ich komme mir gleich mal vor, als sei ich Wochen unterwegs und dann so eine Behandlung!
Ich bin  kurz davor zu schwören, dass ich nie wieder aufstehe, aber der dringende Wunsch nach einer Dusche lässt mich dann doch dahin schleichen. Es ist alles sehr sauber, aber so richtig kann mich das nicht trösten. Doreen scheucht mich auf. Wir können jetzt nicht rum liegen, auch wenn ich dafür einen Mord begehen würde. Sonst würden wir morgen solchen Schmerzen haben, dass wir nie wieder aufstehen. Klasse! Aber sie ist nun mal mehr der erfahrenere Läufer, also vertrau ich ihr jetzt einfach und wir schleppen uns in die obere Etage, wo ein Restaurant untergebracht ist.
Darf man in Spanischen Restaurants eigentlich die Füße auf den Stuhl legen, oder gilt das als unhöflich und rüpelhaft? Egal wie fertig ich bin, das will ich auch wieder nicht. Andererseits habe ich das Gefühl, dass alles Blut in meine Füße fließt und sie dann wohl zu Klumpen anschwellen werden. Doreen sitzt da, als wäre nichts und ist glücklich, dass sie den Rucksack los ist.
Schnabbel schnabbelt immer noch und da kommt unser Polizist rein.  Er sieht uns nicht, aber dafür habe ich ihn gesehen. Wir sind unschlüssig, ob wir ihn wohl an den Tisch winken sollen oder nicht, aber besser seine Gesellschaft, als den Nebentisch weiter ertragen (Ich glaube wir haben die Toleranzprüfung nicht bestanden) 
Das Essen haben wir hinter uns gebracht. Es war ein herrliches Menü- man gönnt sich ja sonst nichts – drei Gänge gehen schon mal. Nur mit dem Nachtisch habe ich mich voll verwählt: so eine Art Frischkäse und Quittenkäse. Eine eigenartige Geschmacksrichtung. Und das ganze für nur 8 Euro. Genauso teuer ist auch die Flasche Wein, die ich bestelle – mir ist heute nach Weiswein. Merkwürdige Preisaufteilung – ich meine, Wein wächst doch hier nebenbei.
Ich rufe also unseren Polizisten und er freut sich uns zu sehen, traut sich aber nicht so richtig, sich zu uns zu setzten, bis wir ihn ausdrücklich bitten.
Auch er scheint keine absonderlichen Schmerzen zu haben. Kein Wunder, der hat Hornhaut auf den Füßen wie ein Elefant – das könnte ich wetten. Bin ich eigentlich der einzige Jammerlappen?
Er erzählt uns von seiner  bisherigen Reise und wie überrascht er gewesen war, dass eine Norwegerin sich ihm angeschlossen hatte und mit ihm laufen wollt. „Mir habe sogar in eim Zimmer geschlaffe.“ Und als er uns seine Bilder zeigt – eine nette, aufgeschlossen wirkende Frau – meinte Doreen „Das würde ich aber jetzt ihrer Frau nicht erzählen.“ Er nahm das sehr ernst und meinte, er stehe zu seiner Frau, sie habe mal Krebs gehabt und er wäre trotzdem noch da. Wir unterhielten uns wirklich nett. Und er fragte uns, ob wir schon die Stadt gesehen hätten. Himmel – hatte der nicht mitgekriegt, dass ich nicht mehr laufen kann? Er meinte, dass sollen wir unbedingt tun.
Also rafften wir uns auf. In den Sandalen hatte ich nun gar keinen Halt mehr und schleppte mich mehr in den Ort, als alles andere.
Der Ort liegt an einem Stausee und wie wir erfahren erst  seit 50 Jahren. Vorher lag er im Tal - da wo jetzt der Stausee ist. Alles - auch die Kirche-  wurde unten  abgebaut und hier oben liebevoll wieder errichtet.

Der Ort ist so schön. Und es käme wohl einer Sünde gleich, ihn nicht zu erkunden. Ich genieße die Straßencafes, die Menschen, die da sitzen und singen – offensichtlich Pilger. Aber wer ist hier denn so verrückt, eine Gitarre mitzuschleppen? Es herrscht Volkswanderstimmung.Wir schlendern durch die kleinen „Geschäftel“ und beschließen, Karten nach Hause zu schreiben. Blöd eigentlich, aber uns ist eben so. Wir setzen uns in ein kleines Café –auch wenn wir nichts wollen und bestellen eben Kaffee. Die Sprachbarriere kommt uns wieder in die Quere und wir bekommen einen Espresso. Aber selbst Schuld, hätten wir doch vorher lernen können. Dann spricht uns eine Frau an – in Radlerhose und mit  Falls-Beutel. Aber wir sind freundlich und kommen ins Gespräch. Sie ist seit Mittwoch unterwegs und hätte Hunger und wie sie jetzt bestellen solle. Hat die Frau die letzten Tage nichts gegessen, dass sie unsere wirklich unprofessionelle Hilfe braucht?
Sie ist sehr mitteilsam und so erfahren wir auch, dass die Kirche auf dem Markt um
20.30 Uhr geöffnet wird. Toll, unsere Pilgerpässe liegen im Zimmer. Doreen sprintet los – also wo nimmt die Frau nur die Energie her – und holt sie samt Fotoapparat. Die nette, redselige Frau heißt Heidi und stammt aus Berlin – Ost. Und das ist ihr sehr wichtig, weil sie jetzt in Stuttgart lebt und alle Wessis haßt. Es gibt auch nette, wage ich vorsichtig einzuwenden, aber das akzeptiert sie jetzt nicht. Sie hätte noch keine kennengelernt. Und wie wir so auf die Kirchöffnung warten, gehen wir noch mal in die „Geschäftel“ und erwerben einen tollen Schmuck – ein Stoffband mit Muschel dran. Wir binden uns das – genau wie Heidi – ums Handgelenk.



Die Kirche wird jedenfalls nicht aufgemacht. Also gehen wir zurück zum Quartier. Und da ist auch wieder unser Singpilger. Er ruft uns was zu – und wir verstehen kein Wort, lächeln ihn aber an. Endlich verstehe ich noches und Palas de Rei. „si, si“ rufe ich begeistert zurück „Palas de Rei.“ Ganz offensichtlich hatte er gemeint, ob wir uns morgen in Palas de Rei sehen. Klar, wir sehen uns. Und dank der wenigen Worte, strömt ein ganzer Wortschwall auf uns hernieder. Wir verstehen wieder nichts, lächeln und winken. Heidi ist beeindruckt – glaube ich – von unseren Spanischkenntnissen. Wir erzählen ihr dann, dass wir schon Angst hatten, kein Quartier zu kriegen und Doreen nicht mal eine ISO Matte hat – nur eine Yoga Matte. Das ist ihr Stichwort und wir erfahren, dass sie Yoga kann und irgendwas anderes, was wohl so eine art Fernheilung ist, von der ich noch nie was gehört habe. Und dann zeigt sie uns ihre Yoga Übung „Adler“. Ich stelle mich besonders blöd an und frage mich auch, wie man bei so was entspannen soll.


















 
Dann erzählt sie weiter von ihrem Arzt und so wie so und überhaupt… die Frau ist nicht zu stoppen.
Dann liegen wir endlich im Bett. Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen da wieder raus komme. Aber erst mal liegen ist schön.
Und jetzt stelle ich auch fest, dass wir nicht in einem Fünferzimmer liegen, sondern dass hier sieben Betten stehen. Unter Gelächter quetsche ich raus, dass wir die Sache mit dem Zählen doch noch mal üben müssen, weil Doreen jedem  - per SMS oder am Telefon erzählt hat, wie wären in einem Fünferzimmer – ich habe ihr auch geglaubt.
Doreen hat ihre Probleme mit dem Aufstieg – sie wollte ja unbedingt oben schlafen – weil sie sich gerade eingecremt hat und nun ein wenig auf der Leiter abrutscht. Aber sie schafft es doch und wir  können schlafen. Aber weit gefehlt, wir kriegen erst mal den totalen Lachkrampf. Das Bett ist 30cm von der Wand weggeschoben und sie befürchtet, dass sie einfach runterfällt. Darum legt sie ihren Reiseführer und den Sprachführer hin und meint: „Wenn  die kommen, dann falle ich gleich hinterher und du musst mich auffangen.“ Das alles bringt sie nur unter ständigem Gelache hervor und ich antworte genauso quietschend vor lachen, dass ich das wohl gar nicht merken werde, weil ich totenähnlich schlafen werde.
Nachdem dieser totale Lachanfall vorbei ist, beschließen wir spanisch zu lernen und fangen schon mal mit den Himmelrichtungen an. Wer weiß, wann man die noch mal brauchen wird. Auch die Farben sind nicht schwer: Blanco – ich trinke gern Weißwein und negro- kann man eigentlich nicht vergessen, selbst marron bleibt mir im Gedächtnis. Irgendwann schlafen wir einfach ein.

 
03.07.07

Ich erwache, weil die blöden deutschen Pilger packen.
Ich hasse sie und habe den Eindruck, dass es noch nicht mal richtig hell ist draußen. Haben die eigentlich den gesamten Bestand der  Plastetüten Spaniens dabei? So wie das raschelt auf jeden Fall. Klar, wie wir gelernt haben, kann es durchaus sinnvoll sein zum Plastiktütensammler zu werden. Zumindest, wenn man Autofahren nicht verträgt, so wie Doreen. Da hätten wir gerne Plastetüten gehabt. Aber das hier? Das sind die Momente, wo ich mir vorstellen könnte, einfach mal andere Menschen anzuschreien und wüst zu beschimpfen. Nie wieder eine Sammelunterkunft!!
Irgendwann sind sie endlich raus, aber mit dem Schlaf ist es echt vorbei, also raffeln wir uns auf. Tatsächlich kann ich stehen, ich kann scheinbar auch laufen, ich habe nicht mal Muskelkater, was ich aber meinen Magnesium Tabletten zuschreibe.
Wir sind schneller und effektiver beim Packen – also jedenfalls ich - als die Plastiktütensammler. Doreen ist ehr gemütlich, ich will los.
Wir sitzen beim Frühstück – schon wieder nur Süßkram – da kommt. Heidi. Eigentlich freuen wir uns, sie zu sehen. Es ist schön zu merken, dass man nicht alleine ist, dass man jemanden kennt. Wir zahlen für die Übernachtung und das Frühstück 21 Euro. Der muß sich verrechnet haben, dass kann doch nun wirklich nicht sein. Aber es ist so. Ich liebe diesen Weg!
Wir laufen los, sicherheitshalber nehmen wir uns noch eine Briese Zeckenschutz – man weiß ja nie. Aber Heidi hat gleich die passenden Einwürfe.
Es geht über eine kleine romantische Brücke und schon jammert sie, wir sollen doch bitte nicht so schnell laufen, sie habe Knie. Aber ich erwäge zu gestehen, dass ich nur jetzt schnell laufen kann, und später der Jammerlappen werde und dass ich meine Energie jetzt nutzen muß.  Wir traben dahin und Doreen quält sich mit dem Rucksack. . es ist nicht nur das Gewicht, sondern auch noch eine Sonnenbrand, den
wir uns gestern geholt haben. Und das Gewicht auf dem Sonnenbrand – das braucht keine weiteren Worte mehr. Sicherheitshalber haben wir darum heute auch T-Schirts angezogen.
Wir bewundern die Natur, die Blumen und Bäume und Heidi hat sicher  den Eindruck, wir wären die Profi – Gärtner. Aber es ist unglaublich schön und wir sehen keinen Grund, all den kleinen Naturwundern vorbeizurennen. Wir haben doch Zeit.
Dann hat sie die fantastische Idee die Rucksäcke richtig einzustellen- wir ahnungslosen wußten ja nicht, dass man die auch verstellen kann. Aber jetzt gehrt es wesentlich besser. Dann beginnt es zu regnen. Nicht so richtig große Tropfen, die einen zum aufgeben zwingen, nein, kleiner gemeines feiner Regen. Wir ziehen den Regenschutz über die Rucksäcke und ziehen uns auch Jacken an. Mir wird klar, dass meinen Jacke nicht im geringsten Regentauglich ist. Aber wer konnte auch mit Regen rechnen, mit Dauerregen? 



Wir machen immer mal Pause und Heidi redet unentwegt. Kann die auch mal still sein. Wir sitzen mitten am Weg und essen Riegel – auch für die Nerven. Ich kann weder den Gestank aus den Hühnerfarm richtig in mich aufnehmen, doch die Porzellanfabrik eingehend studieren – Heidi sabbelt immerzu. Ich will einen Knebel!
Im Stillen hoffe ich, Doreen nervt es genauso wie mich. Aber sie hört aufmerksam zu und treibt Konversation, dass es mir den Neid ins Gesicht treibt. Wenn mich jemand nervt, dann sage ich das auch gerne mal laut und deutlich. Oder besser noch, ich strafe ihn mit Ignoranz.


Es ist Mittag und wir sind fast komplett aufgeweicht. Wir können nur anhalten und hoffen, dass es aufhört. Sicherheitshalber hat Heidi schon mal „Liebe Sonne" gesungen. Mir bleibt wirklich nichts erspart, denke ich, während sie anschließend auch noch ein spanisches Freiheitslied aus tiefster DDR Zeit anstimmt.
Die Kneipe ist voll- die anderen Pilger haben auch die Nase voll vom  Regen und an der Bar ist einfach kein Platz mehr. Also suchen wir einen Tisch. Der Kellner – einer von der absolut unfreundlichen Sorte, fragt „Menu“ und Doreen meinte die Karte bestellt zu haben, aber wir bekommen wieder unsere drei Gänge. Heidi ist aufs äußerste schockiert. So viel Geld - immerhin 8€!
Mir ist das aber egal, sitzen ist schön. Und meine Füße schmerzen erbärmlich .Und wenn ich daran denke, dass noch 16 km vor mir liegen, baut mich das nicht gerade auf und ich überlege, wie ich das überstehen soll.
Aber mein Optimismus kehrt mit jedem Gang zurück, bis ich feststelle, dass meine ISO Matte weg ist. Das gibt mir schon zu denken, aber Doreen meint, dass Käthe die Sache immer so sieht, dass sie wohl ein anderer nötiger gebraucht hätte, was sicher stimmt und wenn ich bedenke, dass ich nun ein paar Gramm weniger tragen muß, kann ich wohl einschätzen, dass ich über den Verlust hinwegkommen werde. Ich finde es nur witzig, dass wir das beide nicht bemerkt haben.
Und hier gibt es auch wieder Stempel. Seit wir gestern entdeckt haben, dass es nicht nur in den Alberguen Stempel gibt, und nicht nur in Hotels, sondern auch in den kleinen Bars und Kneipen, sind wir voller Hoffnung, dass unser Pilgerpass am Ende nicht ganz so erbärmlich aussehen wird.
Bei der Gelegenheit lernen wir Keith kennen. Ein total ausflippter Typ – zumindest macht er diesen Eindruck: grauhaarig mit gefundenem Hund – so eine Art Daisy, den er Sanjo getauft hat. Er ist Engländer.
Am Nebentisch sitzen drei andere Pilger und als sie aufstehen, leide ich buchstäblich mit, zeige auf ihre Füße und mache ein schmerzverzogenes Gesicht. Sie denken sicher, wir seien Engländer, weil wir es gar nicht erst mit deutsch probiert haben. Versteht hier so wie so kein Mensch!
Es sind Franzosen und ich bin mir sicher, dass es Vater und Sohn und eine Frau die wir nicht so richtig zuordnen können. Auf jeden Fall leiden sie mehr als wir – ein schönes Bild – kann einen aufbauen!
Heidi ist immer noch schockiert, von der Höhe der Rechnung- jetzt muß sie wegen uns auch noch Geld holen. Ich bin fast bereit, ein Stoßgebet loszulassen, aber vielleicht ist das meine persönlich Toleranzprüfung. Und da will ich dann doch nicht versagen.
Wir raffen uns auf – dass Essen war echt göttlich. Die können Suppen kochen, dass habe ich wirklich noch nicht erlebt (vielleicht in Österreich letztes Jahr, aber die hier sind trotzdem Spitze).

 
Es regnet immer noch und Heidi fängt wieder an zu singen. Aber mit vollem Magen ist das nicht mehr so schlimm. Die Franzosen schleichen sich auch davon – gegen die bin ich richtig gut zu Fuß!!
Wir laufen und laufen und nehmen die Natur nur noch nebenbei wahr – der Regen und Heidi tun ihr übriges.
Dann halte ich es kaum noch aus – ich muß mal. Aber bei dem Naß von oben möchte ich jetzt bitte ein geschlossenes Häuschen. 
Da steht ein Mann  an der Straße – wo kommt der eigentlich so plötzlich her - und will uns überzeugen, in seine Garage zu kommen – es sieht übel aus. Aber egal wie übel – ich muß jetzt, egal wo. Wir betreten also sein „Heiligtum“ und es ist einfach gigantisch. Glen Miller empfängt uns und wir sind einfach nur hin und weg. Er ist Amerikaner – aus Texas und ich kann mir nicht verkeneifen zu rufen „J.R.“. er lacht und wir fühlen und sofort wohl – vor allem nachdem ich seine äußerst gepflegte Toilette besucht habe. Er ist vor einem halben Jahr nach Spanien gekommen, um die Pilger bei ihrem Weg zu unterstützen.
                      Manchmal täuscht eben doch der erst Eindruck!

 










Es ist absolut lustig, wir trinken Kaffee und lachen und versuchen zu reden und dann kommen auch noch unsere drei Franzosen. Wir winken sie rein und auch sie fühlen sich gleich wohl Wir kommen ins mehr oder weniger schleppende Gespräch, aber wir sind alle gleichermaßen fertig und glücklich.
Doreen tanzt noch Swing mit dem Texaner – ein herrliches Bild: laufen können wir nicht mehr, dann tanzen wir eben. Auch der Texaner ist begeistert von uns und bittet uns noch um ein gemeinsames Foto- ich hätte es auch gern!
Das hat  aufgebaut, ich lasse vor Freude gleich meinen Pilgerstab liegen, merke es jedoch recht schnell und renn zurück. Ja, ich renne. Der Aufenthalt hat gutgetan – das steht fest.
Wir laufen inzwischen auf einer Straße und durchqueren Ortschaften – falls man das so nennen kann. Heidi war hinter uns abgefallen – wir liefen einen Berg hinab und sie hatte wieder Knie – als ein Hund beschloß, mit uns zu laufen. Wir zwangen uns, ihn nicht anzusprechen, oder auf ihn einzugehen. Heidi hatte uns erzählt – eine ihrer tausend Geschichten, dass einer über etliche Kilometer mit ihr gelaufen wäre, weil sie ihn angesprochen hatte – und der arme Köter pendelte nun zwischen uns und Heidi und wir ignorierten ihn. Da kam uns eine andere Wanderer entgegen und sprach ihn an. Na, der hatte den wohl jetzt ewig am Hals – so wie wir Heidi.
Doreen nervte es genauso und wir überlegten schon mal, ob auf dem Camino vielleicht auch Menschen verschwinden – so wie meine ISO Matte – und haben schon mal nach einem passenden Versteck Ausschau gehalten. Und wir sahen einige.
Heidi hatte sich gedacht, dass sie mit uns bis Santiago laufen kann. Aber das überstehen wir beide keinesfalls – wir wollten doch nicht gleich eine feste Beziehung eingehen.
Später sehen wir auch drei junge Mädchen – keine Ahnung wie alt. Aber sie haben gleich ihre Namen weg. Eine trug eine Araberhose und die andere eine blaue Kniebandage und die dritte war einfach nur dabei. Wir lächelten uns an und sie hatten ihre Namen weg: Araberhose und Kniebandage. Irgendwie ist es komisch. Man kannte sich nicht, aber das Hola und Buen Camino verbindet so unheimlich. Man hat Schmerzen und die Augen strahlen vor Glück. Was ist das nur??


Inzwischen waren wir total abgekämpft, durchnässt und komplett genervt von Heidi. Wir mussten sie loswerden und die Sache mit dem verschwinden lassen erschien uns nicht mehr ganz so ideal. So faßten wir den Plan, sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen: ihrem Geiz. Wir kamen in Palas de Rei an und verkündeten, dass wir auf jeden Fall in ein Hotel wollen –mit Fön!! Aber nicht mit Heidi. Da machte sie nun wirklich nicht mit.  Wir ließen sie zurück in der Albergue – ein Blick in eine Turnhalle, die als solches diente genügte uns, um zu wissen, dass wir das eigentlich nicht wollen – und zogen weiter, uns ein Zimmer mit Fön zu suchen. Egal was, aber auf jeden Fall ohne Heidi und ohne irgendjemand sonst – nur wir zwei (Sie hatte doch tatsächlich überlegt, ob es da eine Aufbettung geben könnte).
Wir kamen an einer Kirche vorbei und es zog uns regelrecht hinein. Im Inneren brannten unendlich viele Kerzen und wir genossen die Ruhe und den Frieden.
Das erste Hotel war ausgebucht. Vor dem Hoteleingang stand eine von den „Light -Pilgern“ - die Sorte Pilger, die ohne Gepäck wandern. Die nette Frau meinte, wir könnten ja bei ihr duschen, falls wir keine warme Dusche finden würden. Aber wir fanden eine  – das Zimmer hatte sogar Heizung. Doreens Turnschuhe waren inzwischen komplett durchgeweicht, so dass es immer Pflatsch, pflatsch machte, wenn sie lief. Wir duschten und zogen uns Trocken an und es war einfach nur schön. Wie wenig der Mensch doch braucht, um rund um glücklich zu sein!
Dann wuschen wir unsere Wäsche. Immerhin hatten wir eine gut funktionierende Heizung und waren voller Optimismus, alles trocknen zu können.
Doreen lagerte sicherheitshalber gleich mal ein paar Kleiderbügel aus einem anderen Zimmer in unser Zimmer um – bei uns hatte man die einfach vergessen.
Vor unserem Zimmer kam plötzlich Bewegung auf. Es rollte ein Trauerzug mit gleich zwei Fahrzeugen heran.
Wir mutmaßten schon mal, dass es sich ohne Zweifel um eine Liebestragödie handeln musste. Der Kreuzträger, der zu beginn des Zuges lief, lächelte uns an. So was, wie konnte der denn lächeln, das war doch wohl eine traurige Angelegenheit, aber Doreen hatte vergessen, ihre Bluse zu schließen. Und das war wohl sehr einladend. Nachdem wir das bemerkt hatten, zogen wir uns diskret zurück und unterhielten uns über bisher erlebte Trauerfeiern und mußten beide zugeben, dass wir da immer lachen mußten. Es war einfach zu blöd: ich weiß, dass man das nicht macht und doch passiert es eben. Ich hoffe, auf meiner Trauerfeier geht es mal lustig zu.
Wir beschließen dann doch unsere Unterkunft zu verlassen und nach essbarem zu suchen, auch wenn wir heute schon so verschwenderisch waren und für 8 Euro gegessen haben. Wir finden eine nette kleine Tapas Bar und beschließen hier zu bleiben.  Laufen und suchen geht auf keinen Fall.
Und wieder kriegen wir eine ganze Flasche Wein. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, hier dem Alkoholgenuß zu frönen, aber in Spanien scheint das wohl ein Grundnahrungsmittel zu sein. Am Nebentische sitzen drei Italiener und ich lasse mich begeisert über den einen aus – der hat Augen wie Richard Gere und da bin ich wirklich anfällig. Zwei Männer und eine Frau, wie die wohl zusammengehören, philosophieren wir noch vor uns hin, als sich Richard über unseren Tisch hinweg mit zwei Engländern unterhält. Es ist ein lustiges treiben. Die Engländer am Nebentisch haben sich ein Merkwürdiges Menü bestellt und ich kann es mir nicht verkneifen zu fragen, was das wohl ist – Tintenfisch, eine galisische Spezialität. Muß man unbedingt probiert haben. Na da bin ich aber froh, dass wir schon fertig sind – ich hätte es wirklich gerne probiert. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Dann kommt wieder Keith mit Sanjo und wir umarmen uns. Nicht dass wir viel miteinander gesprochen hätten, aber das ist hier alles anders. Sieht man sich einmal, ist man glücklich, sich wieder zu treffen.
Wie wir gemerkt haben, gibt es hier auch einen Stempel, also springt Doreen gleich los und versaut den natürlich wieder in meinem Pilgerpass. Mehr zu mir, als zu ihr und eigentlich auch nur nebenher geplappert sage ich: „Na das war ja wieder klar, wieder in meinem versaut.“
Der Satz ist noch nicht raus, da lacht sie so sehr, dass ich wirklich um ihr Leben fürchte. Sie findet es zu lustig wie ich dahocke und mich wie ein kleines Kind beschwere.
Wir beschließen, die Stadt zu erkunden, aber aussichtslos. Unsere Füße zwingen uns geradezu den Weg ins Hotel zu nehmen. Vor dem Einschlafen erliegen wir wieder Lachsalven – es ist herrlich. Wir erweitern auch unseren spanischen Sprachwortschatz – um Wochentage. Bestimmt auch etwas, was man nie braucht.


04.07.07

Es gibt eigentlich nicht genug Worte für meine Schmerzen, zumindest beschreibt dieses Wort es nicht mal andeutungsweise, aber „No pain -  no glorry!“
Ich liege auf dem Bett, Doreen duscht und mir laufen die Tränen nur so übers Gesicht. Das wäre fast schon peinlich, wenn ich nicht genau wüsste, dass jeder auf dem Camino einmal heult und heute bin ich eben dran.
Die Eindrücke, das Glücksgefühl in mir, die Schmerzen – einfach alles kommt zusammen.
Heute früh haben wir uns extra nicht vor 8.00 Uhr aus dem Hotel getraut, weil wir es unbedingt vermeiden wollten, Heidi in die Arme zu laufen.
Unsere Sachen waren natürlich nicht trocken und Doreen nahm gleich mal einen Kleiderbügel mit, um die Sachen unterwegs zu trocknen. Wir wollten ihn ja nicht klauen, wir würden ihn ins nächste Hotel „umlagern“. Aber die Schuhe waren wenigstens trocken – aus Ermangelung an Zeitungspapier, hatte sie sie mit Klohpapier vollgestopft.
Komisch, bisher wollte noch niemand einen Ausweis sehen (abgesehen von dem Hotel in Sarria), wenn wir die Zimmer buchten, oder das Geld im Voraus – wir sehen wohl sehr vertrauensselig aus.
Aus unserem Sprachführer hatten wir gelernt, „wenn der Spanier frühstücken will, geht er in eine Tapas Bar“
Wir gingen in die Gleiche wie am Abend zuvor, war ja nicht so schlecht dort. Die drei Italiener waren auch wieder da.
Das Frühstück war eine Herausforderung an das Gebiß – nie vorher habe ich so krossen Toast gegessen. Und natürlich nur Süßes. Wir spähten immer mal nach draußen, nicht dass Heidi uns ausfindig macht. Aber keine Spur von ihr. Sicher war sie schon im Morgengrauen aufgebrochen.
Doreen beschloß heute Obsttag zu machen. Das ist ja nun gar nicht mein Ding und ich beschwichtigte sie, bloß nicht so viel zu kaufen – schließlich müssen wir alles schleppen.



 
Araberhose und Kniebandage ziehen vorbei und wir lächelten – auf dem Camino geht eben doch keiner verloren.
Nachdem wir endlich die Richtung gefunden hatten – die „Light Pilger“- weisen ihn  uns, schlenderten wir durch die Landschaft und genießen es einfach nur. Der kurze Abstecher entlang einer vielbefahren Landstraße kann uns die gute Laune nicht nehmen



Wir können wieder frei laufen und die Gedanken sind frei.
Und wen wir alles dabei hatten: unsere Kollegen, Freunde, Kunden, Kindheitserlebnisse und stellen irgendwann fest, dass wir schon jede Menge miteinander erlebt hatten. Komisch, es war mir nie so bewusst. Manchmal sahen wir uns ja Monate  nicht und trotzdem stand da eine herrliche Auswahl an Erinnerungen zur Verfügung: vom Teppichverlegen mit Fred, über den Ungarn Urlaub, von der Frau vom Mieterbund, oder Doreens Fahrstunden im A6…
Doreen meinte, Karo gebe immer zu bedenken, dass sie lieber keine Geschichte erzählen solle, weil sie so  mehr der poentenlose Erzähler wäre. Als sie mir erzählte, dass Nat als Kind nie gewusst habe, was Schatten ist und ich nicht gleich loslachte, meinte sie „Das hätte man jetzt auch schöner erzählen können.“ In dem Moment dachte ich, ich müsse umfallen vor Lachen. Ich kriegte mich gar nicht mehr ein. Manchmal holt die wirklich Dinger hoch, da kann man sich echt bekringeln. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, gab ich ihr den Rat, den Satz immer ans Ende einer Geschichte zu setzen- das ist dann garantiert komisch.
Oder sie erzählte die Geschichte, wie jemand  zu ihr gesagt hatte „Dann machen wir es jetzt mal so – da legen wir einfach auf.“ Der Satz ist einfach gigantisch.
Der passt zu jeder Kundenbeschwerde. Den muß ich mir auf jeden Fall auch merken.

 
 Wir geniesen den Geruch der Eukalyptusbüme, und da kreuzt eine Blindschleiche unseren Weg. So nah wie hier habe ich Natur noch nie erlebt.
Als sie versuche die Banane zu essen, wollte ich mich gleich wieder bekringeln, es war nicht mal möglich, die normal zu schälen, weil sie einfach nur hart war und mir fiel gleich wieder die Geschichte ein, wie mein Vater Bananen einwecken wollte.
Es ist schon merkwürdig, an was man alles so erinnert wird und wen und was wir alles auf dem Weg dabei hatten.




Kurze Zeit später treffen wir wieder auf die Franzosen und verständigten uns unzureichend auf Englisch – und es ist auch schön zu sehen, dass die anderen genauso leiden. Sie geiesen das sicher auch.





Wenn wir Lust hatten, hielten wir eben still und auch zum Mittag gab es heute kein Menu – wir hatten ja Obsttag.
Wir kehrten in einer Kneipe ein, die sich „Die zwei Deutschen“ nannte. Wir dachten natürlich an ein Paar, war es auch, aber schwul. So was Nettes! Der Mann erntete sogar den Salat für unseren Salatteller frisch.  Und ert war wirklich gut.
Ich hatte ja kurz mit dem Sandwich geliebäugelt, mich dann aber doch dagegen entschieden. Trotzdem, Spanier machen herrlich große Sandwichses...
Da kamen auch die drei Pilger aus Portomarin, die um 6.00 Uhr aufgestanden waren. Wir freuten uns wie verrückt, ohne erklären zu können warum – auch wenn ich sie an diesem Morgen wirklich gehasst hatte.





















Wir hatten uns kaum in Bewegung gesetzt, als Doreen von Heißhunger überfallen wurde. Wir sahen ein Cafe mit einem Verkaufswagen und sie stürzte hin. Aber da war keiner und sie wurde immer aufgeregter. Wie ein kleines Kind sprang sie von einem Bein auf das andere (trotz Rucksack!!) „Nehm ich jetzt die Nußschokolade, oder da die Schokonüsse? Oder lieber die getrockneten Früchte? Und überhaupt, ist es zuviel verlangt, wenn ich mal kurz hinter den Tresen gehe und genau gucke?“
Ich amüsierte mich und sie war überglücklich, als sie endlich das erste Stück in den Mund steckte (falsch, das Erste gab sie mir, auch wenn ich es abgelehnt hatte.  Ich hatte meinen Zuckerschock schon in Form von Cola).


 








Beim Laufen stellt Doreen fest, dass es wohl unglaublich ist, wie viele Hortensien am Wegrand stehen und wer sich wohl die Mühe gemacht hatte, die alle für die Pilger anzupflanzen – wenn man bedenkt, das in Deutschland eine kleine Blüte 6 € und eine große 8 € kostet. Wir lachen wieder. Und dann ist auch echt beeindruckt von meinen Pflanzenkenntnissen, denn ich zeige auf eine und meine, dass ich gar nicht gewusst hätte, dass die auch Spanien wächst. Ihr Name sei „Jelängerjelieber“..
„Ich glaube, das ist jetzt meine Lieblingspflanze.“ – und wir lachen herrlich.

Die Landschaft wird karger und wir laufen an einem Industriegelände vorbei. Am Wegrand stehen Tafeln mit unendlich vielen Namen darauf. Es hat ohne Zweifel mit dem Jakobsweg zu tun, aber wir können nur erahnen, dass es sich um Verstorbene handelt, die ihren Weg hier beendet haben, Das macht sehr betroffen.
Dementsprechend werden unsere Gespräche trauriger und nachdenklicher.
Wir machen Pause, wohl auch um auf andere Gedanken zu kommen.



Dann nähren wir uns Melide und kommen durch das Petrusviertel – wie wir aus dem Reiseführer erfahren, solle Petrus hier gewesen sein. Wir durchlaufen es schweigend und mir treibt es Gänsehaut über den ganzen Körper. Es sah aus, als ob sich in den letzten 2000Jahren wirklich nichts verändert hätte. So etwa ungewöhnliches hatte ich noch nie gesehen. Es fehlen mir die Worte, das zu beschreiben, weder  wie es dort aussah, noch was ich fühlte. Das kann man nur erleben.














 








 Leider verpassen wir es Fotos zu machen. Aber in diesem Viertel hat man wirklich das Gefühl, Petrus tritt gleich aus dem nächsten Haus.


Im harten Kontrast dazu stand das neue Melide, Häuser mit Sicherheitsanlagen hoch modern und abschreckend und ich meinte, man soll doch Strafgefangene nicht einsperren, sondern den weg laufen lassen – sie würden sich verändern. Die Sonne brannte inzwischen erbarmungslos auf uns nieder und wir waren fast geneigt, uns hier niederzulassen.
Doch dann sahen wir die Franzosen wieder. Sie waren ungewöhnlich gut auf den Beinen , das machte uns Mut und wir liefen weiter, bis wir Keith trafen. Er hatte seine Sachen mitten in einer Grünfläche der Stadt zum Trocknen ausgebreitet und trank Bier mit Shae, einer Kanadierin.  Wir unterhielten uns herrlich und erfuhren, dass er aus Liverpool stammt.
Ich war begeistert und meinte, ich sei dort vor zwei Jahren gewesen. Er konnte nicht fassen, dass man da Urlaub macht, aber ich erklärte, wir hätten eine tour durch halb England gemacht. Und so redeten wir und er schien auch zu verstehen, was ich sagte.
Dann fragte er, ob wir hier bleiben würden und meinte „It`s no time to stop“. Also gingen wir weiter.
Es würde schon Sinn machen, wenn er das sagt.  Immer noch das Gefühl des Petrusviertels in uns, waren wir geneigt an alles zu glauben, was uns passiert – vielleicht passiert wirklich nichts umsonst.
Und kurzzeitig waren wir wieder gut zu Fuß, aber eben nur kurz.
Der Weg führte uns durch einen Wald, alles erinnerte uns an die Wälder in Deutschland und doch auch wieder nicht. Ein - wie uns schien kleiner Fluß  - kreuzte den Weg. Das dachte wohl auch ein Radpilger, der  mit Schwung durch das Wasser fuhr und erst in der Mitte des Flusses merkte wie tief er war. Aber er trat in die Pedalen – nun hatte der Arme auch noch nasse Füße und schaffte es aber durchzufahren, ohne absteigen zu müssen. Wir konnten nicht anders – wir mussten applaudieren. Die riesigen Steine, die in dem Fluß lagen, diensten zu Überquerung trockenen Fußes. Wir konnten das natürlich nicht auslassen zu fotografieren. Plötzlich tauchte Keith hinter uns auf und ich hätte gerne ein Photo mit ihm gehabt, aber er lehnte das strikt ab, fotografierte aber Doreen und mich zusammen.





 
Wieso hatte  er abgelehnt fotografiert zu werden?
Unsere Phantasie brannte mit uns durch. Vielleicht war er ja ein Verbrecher und wenn wir den Computer anschalten würden um die Bilder anzusehen, würde sich gleich das FBI oder der BND bei uns melden.
Langsam fing wirklich die Sonne an uns zu schaden.

Aber komisch war das schon und er war auch immer umgeben von Frauen. Vielleicht ließ er sie auf dem Camino verschwinden? Sollten wir vielleicht unsere Leichtgläubigkeit anderen gegenüber in Frage stellen? Man trifft sich hier, erzählt mit anderen über unglaubliche Dinge und vertraut allem. Das ist ein gutes Gefühl und wir beschlossen es weit so zu handhaben.

Unsere Wasservorräte neigten sich nun langsam dem Ende entgegen und ich hätte gerne so etwas wie eine Sitzmöglichkeit gefunden. Wären wir doch bloß in Melide geblieben!!
Da plötzlich war unter Bäumen ein Stand mit frischen Himbeeren und riesigen Wasserflaschen aufgebaut. Man solle einfach das Geld hinlegen.
Ich war sehr dankbar für diese kleine Erfrischung und Doreen schnappte fast über – so eine Freude an unserem Obsttag.
Ich war so mehr dankbar für den dabeistehenden Stuhl.






Das gekaufte Obst vom Morgen hing an meinem Rucksack und ich hatte es schon völlig zerquetscht – hatte ich doch ganz andere Sachen im Kopf, wenn ich eine Gelegenheit zum Sitzen sah!
Wir sahen wieder Araberhose und Kniebandage, die genauso fertig waren und an einem Brunnen haltgemacht hatten, in Begleitung von zwei Spaniern. Aber der Sinn stand uns nicht nach neuen Bekanntschaften und so winkten wir nur matt, wir hatten einfach genug. In Boente sahen wir eine Kirche und Doreen schrieb  uns ins Kirchenbuch ein. Ich verharrte still im Inneren und sah auf zu den  Heiligen. Würde der Tag denn niemals enden?
Wir gingen in das nächstgelege Café und Doreen holte sich von dem herrlichen Krümmelkuchen, den ich dann allerdings fast alleine verschlang- undankbare, die ich war.
Und dann sahen wir ein Cafe gegenüber, auf dem das Schild „Taxi“ leuchtet.
Blitzartig hatten wir die Idee, doch unser Gepäck zur Herberge fahren zu lassen. Wir waren einfach nur breit und verwünschten die Rucksäcke regelrecht.
Aber um nichts in der Welt wären wir bereit gewesen selber einzusteigen. Vielleicht, wenn wir allein gewesen wären… Und selbst dann – wir hätten uns selbst nicht in die Augen sehen können.
Schon mussten wir wieder kichern– wenn das Gerhard wüsste: wir geben das Gepäck wildfremden Menschen und vertrauen.
Aber so groß war unser Vertrauen dann doch nicht, denn wir nahmen die Flugscheine und das Geld raus. Erst später merkte Doreen, dass sie ihren Pass vergessen  hatte.
In dem Cafe hingen unzählige Hüte von der Decke  und erst später ging uns auf, dass auch Hape von diesem Cafe beschrieben hatte. Auch er hatte – soweit unsere Erinnerung uns nicht trübte – von der Unfreundlichkeit des Cafebesitzers geschrieben. Aber das war wahrscheinlich die Mentalität der Spanier. Wir hatten bisher erst sehr wenige Punkte gesehen, an die wir  uns  aus seinem Buch erinnern konnten, aber das war mehr als deutlich.
Der Mann war auch gleich bereit und verstand, wohin wir das Gepäck haben wollten. Blöd war nur, dass wir uns nach der Kirchuhr richteten und das Gepäck für 20.30 Uhr bestellten. Auf der Kirchuhr war es 19.00 Uhr und die vier Kilometer sollten wir doch in 1 ½ Stunden schaffen. Dabei war es erst 18.00 Uhr. Fatal, als wir  den Irrtum bemerkten.




Zunächst lief es sich ohne Gepäck ja scheinbar gut, aber mit jedem Meter wurden die Füße schwerer und die Schmerzen kehrten zurück.Trotzdem nahmen wir die Schönheiten am Wegesrand wahr.




 
Wir freuten uns diebisch, als wir Araberhose und Kniebandage ohne Rucksäcke überholten. Waren wir clever!!
Noch lachten wir, weil Heidi uns gestern erzählt hatte, dass sie schon Gebete geschickt hatte, dass es aufhören soll zu regnen. Ja, da muß es schon schlimmer kommen, als ein bisschen Regen und Heidi, dass wir das tun würden. Und es kam schlimmer.
Unser Reiseführer hatte die Herberge, die wir ansteuerten als die schönste auf dem gesamten Weg beschrieben und wir hofften, dass sie endlich vor uns auftauchen möge.
Aber sie ließ auf sich warten.
Endlich, wir konnten sie sehen, davor war ein Fluß, oder Teich, auf jeden Fall standen Kühe im Wasser und ich war nicht mehr in der Lage etwas aufzunehmen.
Mir war einfach alle egal. Aber was kam, trieb  mich wirklich an den Rand der Verzweiflung.
Es gab kein Bett mehr in der Herberge und der Ort, in dem sie stand, war eigentlich auch kein Ort.






















 
Es prallte alles an mir ab. Man bot uns freundlicherweise einen Platz auf dem Fußboden an. Und ich sah mich schon von Rheuma geplagt aufwachen. Vielleicht waren ja Heidi oder der Polizist hier und ich könnte mir eine ISO Matte borgen. Aber wie sollten wir die hier finden.
Eigentlich wäre das der Punkt gewesen, los zu heullen, aber selbst dazu war ich nicht mehr in der Lage. Ich setzte mich zu den anderen Pilgern auf die Wiese und eine schrecklicher Heuschnupfen Anfall kam dazu. Ich sah verheerend aus. Doreen war die Rettung. Ohne sie wäre ich einfach nur umgefallen, hätte aufgegeben oder … ich habe keine Ahnung was getan. Gedanken waren keine mehr in mir. Der letzte Rest Energie und Hoffnung war raus aus mir. Man sollte Gott vielleicht doch nicht herausfordern – schoß es mir durch den Sinn.
Doreen nahm ihren Reiseführer und ihr Telefon und nach schier unendlich langer Zeit hatte sie ein Zimmer organisiert – nur 2,5 km von hier entfernt.
Wäre eigentlich schön, wenn jetzt unser Gepäck noch ankäme und wir nicht Missverständnissen oder Verbrechern zum Opfer fielen. Aber das Gepäck kam. Der nette Mann brachte es selber und wir hatten gedacht, der sei unfreundlich!!
Wir erklärten mit Händen und Füßen, dass die Herberge voll ist und ob er es weiterfahren würde und zeigten ihm die Adresse. Das Zimmer sei auf „Lesa“ reserviert. Der Spanier hat eine nette Art, alles sehr zu vereinfachen.
 Er wollte nicht mal Geld. Aber wir drängten ihm buchstäblich weiter 5 Euro auf. Und es wäre uns weitaus mehr wert gewesen:
Ich verschlang gleich noch mal 2 Aspirin – die mussten doch mal wirken – zumindest die nächsten 2 1/2 km.
Dann kamen Araberhose und Kniebandage und wir erzählten, dass auch im nächsten Ort alles  ausgebucht wäre. Aber sie waren optimistisch.
Auch die beiden Spanier, mit denen sie sich unterhalten hatten zogen weiter.
Ich schleppte mich mehr, als ich lief. Mein Orientierungssinn war verloren gegangen., ich war wie in Trance und versuchte mich selbst zu hypnotisieren – vielleicht fühle ich dann ja auch nichts mehr.
 Doreen erzählte und ich war nur dankbar – das lenkte schon ab. Wir liefen und liefen und ich hatte nicht die geringste Ahnung wohin.
„Du wirst sehen, wir treffen heute noch jemanden – mir ist einfach so“, versucht sie mich aufzumuntern
Wo war nur diese blöde Unterkunft. „Laß uns jemanden fragen“ – eine blöde Idee. Wir verstanden eh kein Wort. Aber wie sprachen zwei ältere Damen an. „Donde este Pession…“
Sie verstand uns und schienen uns ihren gesamten Lebensauf zu erzählen. Aber wir waren vorbereitet.
Ich weiß nicht woher ich es nahm, aber ich wusste, dass wir bis zu dem braunen Schild zurück laufen sollten, dann nach rechts und es wäre das Haus mit den Blumen- Balkons. Und falls wir es nicht finden sollten, sollten wir noch mal zurückkommen und sie wollten es uns dann zeigen. Sie wären in dem Autohaus und wiesen mit dem Finger auf die andere Straßenseite. Die alte Dame nahm unsere Hände und wünschte uns Glück. Ich war total gerührt. Es war vielleicht unsere echt groteske Erscheinung, meine angeschwollenen Augen, unser Äußeres, was alles andere als schick war und unser wirklich merkliches Fertigsein, was sie dazu bewogen hatte, unseren Weg als wichtig für uns anzusehen. Wir fanden die Pension, oder Hotel auf Anhieb und wie wir uns so durch die Tür schleppten, kam uns eine nette Frau mit gelocktem Haar entgegen gelaufen und fragte gleich „Lesa“ Wir nickten, überglücklich und fragte noch, ob wir noch was zu essen bekommen könnten.
Sie führte uns zu dem Zimmer – unsere Rucksäcke warteten dort schon auf uns.
Und jetzt liege ich völlig erledigt auf dem Bett, Tränen laufen mir übers Gesicht und ich bin einfach nur dankbar.
Wir renovieren uns und schleppen uns nach unten – mit beachtlichem Hunger Es ist neuen Uhr und die Frau scheint überglücklich  uns bewirten zu dürfen.
Wir fragen uns, wie die anderen wohl untergekommen sind, die Franzosen, Keith, Shae, Araberhose und Kniebandage und nicht zuletzt unser Polizist und Heidi.
Plötzlich trifft mich fast der Schlag, da steht doch unser Polizist an der Theke und gestikuliert wieder herum. Wie der sich so weit durch Spanien geschleppt hat ohne ein Wort Spanisch, erscheint fast schleierhaft. Immer wieder versucht er französisch zu sprechen, was der Spanier direkt ablehnt.
Wir rufen und er  kommt hocherfreut zu uns und meint – und wir sind wirklich glücklich ein Wort deutsch zu hören – „Isch hab au die aner Bekannte getroffen.“
Wir fallen fast vom Stuhl – die andere Bekannte kann nur Heidi sein.
Den ganzen Tag haben wir philosophiert, dass die beiden doch herrlich zusammen passen würden und nun sind sie sich tatsächlich begegnet und haben sich- aus Sparsamkeitsgründen – ein Zimmer geteilt. Wir platzen fast vor Lachen.
„Wir treffen heute noch jemand“ – Doreen hat es geahnt.
Reinhard so heißt unser nette Polizist  holt Heidi und ich mache gleich eine Runde Wein – da soll es mir jetzt auf `ne Mark fünfzig nicht ankommen.  – hätte von der Lippe gesagt.
Die Schmerzen, die Verzweiflung sind weg. Wir sind so glücklich, alle vier
Und die beiden erzählen, dass sie sich schon am Morgen getroffen hatten und nach und nach ging ihnen auf, dass sie beide von uns erzählt hatten und als sie merkten, dass sie die gleichen Frauen aus Thüringen meinten, war das natürlich ein riesiges Hallo.
Aber das wir nun hier zusammen saßen 26 km weiter- war einfach unfassbar. Eigentlich hatten wir doch in Melide anhalten wollen, nur Keith war es, der uns weiter getrieben hatte.
Spontan beschossen wir, gleich ein Quartier für den nächsten Tag zu buchen, die Betten würden immer knapper und das was wir heute erlebt hatten, mussten wir nicht noch mal durchmachen.
Die Kellnerin erklärte sich gleich bereit, ein Zimmer zu buchen und wieder verstand ich wie durch Wunderhand, was sie gesagt hatte. Sie könne nur ein Drei- und ein Einzelzimmer buchen. Aber so war das auch in Ordnung.
Wir lachten und tranken und als ich später mit Doreen im Bett lag-  es war so wunderbar weich und der Gedanke an den angebotenen harten Steinfußboden ließ es noch viel weicher und schöner erscheinen – witzelten wir schon wieder herum. Na, bei den beiden geht doch noch was!
Eins habe ich heute jedenfalls gelernt
                         Fordere keinen heraus- egal wen – das tut keinesfalls gut!!



05.07.07

Wir standen auf und frühstückten und vom Elend des vergangenen Tages war nichts mehr zu spüren, immerhin waren es heute nur 22 km die vor uns lagen – ein Klacks. Reinhard und Heid waren schon zeitig aufgebrochen aber ich genehmigte mir heute 2 Tassen Kaffee. Er schmeckte einfach göttlich. Langsam gewöhnte ich mich an dieses Zeug und er schmeckte wirklich schon besser als an der Arbeit. Und diesen Automatenkaffe liebe ich nun wirklich.
Doreen kaufte uns zwei winzige gelbe Pfeile – einfach traumhaft.
Ich heftete ihn gleich an den Rucksack, neben dem Regenbogenanstecker, den wir irgendwo gefunden hatten und der uns auch in irgendeiner Weise als „Gay“ auswies. Vielleicht war uns so viel Anmache erspart geblieben, von denen Hape geschrieben hatte.
Den Ort Azur nahm ich nun viel freundlicher war. Die alten gemauerten Häuser und Gässchen begrüßten uns freundlich und wir schlenderten in eine Kirche. Gerade wurde eine Messe gelesen und wir lauschten – auch wenn wir kein Wort verstanden. Gedankenversunken saßen wir einfach nur da.
Draußen schienen sich wieder hunderte von Pilgern auf dem Weg zu machen – auch ein Kamerateam vom galizischen Fernsehen war dabei. Sie interviewten gerade irgendjemanden. Bestimmt eine Größe der hiesigen Politik. „Die sollten uns mal fragen“, meinte Doreen. Schließlich hätten wir schon einiges zu erzählen.
Einer der gefilmten hatte ein Piratentuch am Rucksack, das wir wenig später am Weg fanden. Wir nahmen es mit. Irgendwann würden wir sie schon wieder einholen und es ihm geben. Die konnten mit ihren Kameras doch unmöglich schneller sein als wir.
Der Weg führte uns berauf auf Sand und Steinen, aber schön bewaldet. Da waren doch tatsächlich die drei Italiener von vorgestern. Komisch wir hatten geglaubt eine ungewöhnliche Leistung vollbracht zu haben mit unserem Gewaltmarsch, aber die anderen schienen genauso weit gekommen zu sein. Wir kamen ins Gespräch – auf Englisch und amüsierten uns göttlich, dass wir wieder zwei Versionen verstanden. Ich verstand, das wir in dieser einen Woche schon mal trainieren sollten, wenn wir mal den ganzen Weg gehen und Doreen verstand, dass wir vorher mehr hätten trainieren sollen.
Es war einfach zu komisch – ständig hatten wir verschiedene Interpretationen.
Er lief weiter und wünschte uns noch einen guten Weg.


Nach einer ganzen Weile beschossen wir dann Pause zu machen – wir hatten wohl alle Kollegen und ihre und unsere Macken auf dem Weg hinter uns gelassen. Und wir hatten nicht die geringste Ahnung wie weit wir gelaufen waren. Jemand schien die Kilometersteine versteckt zu habe. Endlich tauchte wieder einer auf – erstaunliche 6 km hatten wir im Gespräch über unsere Kollegen zurückgelegt. Wir ließen uns am Wegrand nieder- der Regeschutz dienste als Sitzgelegenheit  Da tauchten die beiden Spanier auf, die wir gestern mit Araberhose und Kniebandage gesehen hatten. Sie machten halt und unser Gespräch konzentrierte sich auf die Frage, ob wir uns in Santiago wohl sehen würden. Wir tauschten Telefonnummern aus. Sie kamen irgendwo aus dem Osten Spaniens und hießen Raul und Rabbe. Und wie die KATHARIN sagten, das war einfach voll schön. Ich habe noch nie meinen Namen so schön gehört und bat Rabbe immer wieder ihn noch mal zu sagen. Und Dank unserer umfangreichen Spanischkenntnisse konnten wir den beiden sogar erzählen, dass wir Domingo heim fliegen.
Die zwei zogen weiter – wir sehen uns in Santiago und dann tanzen und singen und trinken wir, Kuss rechts, Kuss links und weg waren sie.



Dann treffen wir einen Deutschen. Doreen versuchte in einer Mischung aus Englisch, Spanisch und Deutsch auf die Frage „Geht’s gut“ zu antworten,ich bald platzte vor Lachen und meine, sie könne ganz normal deutsch sprechen.
Sie war völlig verwirt, kein Wunder nachdem Gespräch mit den beiden Spaniern.
Er hat das richtige Lauftempo: Sonntag -Nachmittag- wir- laufen -eine -Runde -um -die -Kirche -Tempo, ca. 2 km pro Stunde. Eine akute Knieentzündung zwang ihn dazu.
Seit sieben Wochen sei er unterwegs und wir fragen ihn nach seinen Erlebnissen.  Sieben Wochen sind dann wohl doch eine zu lange Zeit, denn am liebsten lachte er über seine eigenen Witze. Erzählte aber von  drei Finninen, von denen zwei sich den ganzen Weg mit einer Fliese abschleppten, die sie gefunden hatten und der dritten in Santiago schenken wollten – für ihr neues Haus. So was Schönes hatte uns noch niemand erzählt.
Er sprach weiter von Bettwanzen in Burgos und wie er in ein Schuhgeschäft gekotzt hätte, und am nächsten Tag noch mal dort hin ist, um den Schuhkauf zu beenden. Klasse – ich wäre nur unter Androhung von Strafe noch mal in das gleiche Geschäft gegangen.
Ein alter Mann saß am Wegrand und meinte, wir sollen im nächsten Ort ins zweite Cafe gehen.
Klasse,  Comerz wohin man schaut. Unser Deutscher Dauerpilger schien gut spanisch zu sprechen, denn er verstand und antwortete sogar.
Also wenn der alte Mann da schon sitzt, sollten wir ihm auch die Freude machen. Wir liefen schon voraus, denn des Deutschen Tempo war doch zu langsam für uns. Wir würden im zweiten Café sitzen. 



 















Und dort traf ich auch meine Jakobsmuschel. Sie hing da und ich wusste, dass es meine ist- sie sprach zu mir. (hat mich jetzt die Verrücktheit der anderen angesteckt??)
Wir saßen und da saß auch wieder die Frau mit dem bunten Hut, die wir gestern schon gesehen hatten, aber so richtigen Hunger hatten wir doch auch nicht.
Der Deutsche kommt irgendwann und wir erzählen ihm, dass wir uns keine Sorgen wegen eines Zimmers machen müßten – wir hätten reserviert und unsere Rennpilger seien sicher schon dort.
Er schrieb sich gleich noch die Telefonnummer auf, denn so wie er vorankam, war die Chance auf ein Bett doch ehr gering.
Wir liefen weiter – sogar Araberhose und Kniebandage hatten uns schon überholt und bei allem reden merkten wir gar nicht, wie die Landschaft vom kargen ins saftig grüne wechselt. Es ist eine ständige Veränderung des Weges. Mal glaubt man wirklich in den Sümpfen Neuseelands zu sein, dann glaubt man, dass gleich die Wüste beginnt.
Doreen hat eine geniale Idee: „Was meinst du, wenn wir an Quergestreift schreiben und die zu Hause grüßen – ich hab die Nummer eingespeichert?“ Die Frau ist genial!!
Also schicken wir eine SMS und am nächsten Tag erscheint sie tatsächlich.

Wir halten wieder mal an. Eine Tapas Bar  mit herrlicher spanischer Musik lädt ein.
Am Nebentisch sitzen Spanier und trinken. Ob die noch laufen können?
Und ich denke mir, ich könnte es ja mal so machen, wie Keith gesagt hat – ein Bier trinken. Er meinte, das geht sofort in die Füße und der Schmerz würde betäubt. Und ich kann wirklich nicht mehr laufen, meine Füße tun wie immer weh. Werden die sich eigentlich nie daran gewöhnen?
Ich schicke Doreen Cerveza holen. Auch so ein Wort, was ich mir problemlos merken kann – ich kenne es aus den Asterix Filmen.
Shae kommt auch wieder  - wir fragen nach Keith, aber sie hat keine Ahnung, wo der abgeblieben ist.
Sie sucht die Abgeschiedenheit, setzt sich abseits und trinkt an ihrem Wasser.
Doreen hat sich so eine Art Pizza Brot geholt. Sieht merkwürdig aus. Ich habe keinen Hunger – Bier sättigt ja auch. Nachdem sie die Hälfte des Belages an den hier rumstreunenden winzigen Hund verfüttert hat, merkt sie, dass es Tintenfisch ist und ärgert sich jetzt ein bißchen, zumal wir es immer noch nicht geschafft haben, diese galisische Spezialität zu probieren. Mit dem Rest ihres Pizza Brotes ist sie dann dem Hund gegenüber schon recht geizig, egal wie der sich vor ihr gebärdet.
Wir sitzen in der Sonne und genießen die Wärme, das Bier, die spanische Musik. Neben uns ist eine geniale Hecke. Sie besteht aus verschiedenen  Straucharten. Das ist total schön. Auch Doreens Lieblingspflanze („Jelängerjelieber“) ist dabei.
Und da kommt unser Deutscher um die Ecke. Er fragt höflich, ob er sich zu uns setzen kann und  meint, bei unserem Tempo kämen wir wohl nie an. Aber wir haben Zeit haben und die Zimmer sind doch reserviert und wir wollen das alles auch genießen. Er lacht (und wie immer wissen wir nicht genau warum), holt sich was zu essen und setzt sich. Zuvor zieht er noch  seine Schuhe und Strümpfe aus. Also mal ganz ehrlich, es ist kein schöner Anblick.  Und dann bittet der uns auch noch, seine Strümpfe mal in die Sonne zu hängen. Das ist natürlich ein Grund, einen Lachkrampf zu kriegen. Meinte der das wirklich ernst? Unter Lachen krieg ich gerade noch raus „Das übersteigt jetzt wirklich meine Toleranzgrenze. Ich fasse ja kaum meine eigenen Strümpfe an. Und da soll ich deine aufhängen? Du hast sie doch nicht alle!“
Er versteht gar nicht, was wir haben, denn auch Doreen will sich ausschütten vor Lachen. „Ich faß doch nicht Deine Stinksocken an!“ und dann nimmt er sie auch noch und riecht dran. „Wieso, riechen ganz frisch nach Waschmittel.“ Das schlimmste ist, der hat auch noch 2 Paar übereinander an, so dass die echt nass sind.
Ich kann gar nicht glauben, dass der das ernst meint. Aber es ist sein voller Ernst. Doreen ist ja eine Gute – ich mache nicht mal andeutungsweise Anstalten, darauf einzugehen. Ich finde das einfach zuviel verlangt von Fremden. Aber sie nimmt seine Wanderstöcke, er hängt seine Strümpfe drüber und Doreen hängt sie dann in die Sonne. 
Aber jetzt sind wir uns einig: wir müssen ganz schnell weg, ehe er noch mehr Merkwürdigkeiten rauskramt. 
Fluchtartig verlassen wir die Bar und suchen das Weite.
Wir lachen immer noch. Vielleicht sind 7 Wochen auf dem Camino doch zu lang – man scheint ja  jede Form von Sozialkompetenz zu verlieren!  Aber seinen Namen hat er weg: Socken – Jockel.



Wir reden über Sterben und Krankheit – ich muß immerzu an den Mann aus dieser Biografie, der doch so optimistisch erschien. Jahre nach dem Erscheinen des Buches fragte ich mich, was aus dem Mann geworden war. Ein Freund erzählte mir, er habe sich selbst getötet – so stand es in der Zeitung. Doreen erzählt von einen Fernsehbericht und wie die mit dem Unweigerlichen umgingen, der Kranke, seine Familie und Freunde.
Es ist ein schweres Thema. Und da können wir auch mal schweigen.
Wir lassen viel auf dem Weg von den Ängsten und den kleinen Gemeinheiten, die uns bisher widerfahren sind.
Wie weit ist es denn nun noch bis Acra – unserem Tagesziel?
Bei jeder Ortschaft, die sich ankündigt, sind wir voller Hoffnung, doch oft sind es nur einige Hütten, wunderschön romantisch, aber eben auch nicht Agra.
Und dann liegt es vor uns.
Meine Füße brennen.
Doreen nervt  - wie mir scheint – seit Stunden. Sie will unbedingt eine bestimmte Sorte Haribo.
Eine Tankstelle ist unsere Rettung in doppeltem Sinne – Doreen kriegt ihre Haribos und wir können nach dem Weg zu unserer Pension fragen.
Wir sollen stadteinwärts – also gehen wir, werden es schon finden.
Araberhose und Kniebandage sitzen neben einem Cafe und haben noch kein Bett, aber sie sind optimistisch, die Cafeeigentümerin wollte sich kümmern – komischerweise verstehen wir ausnahmsweise mal das selbe.









Und da stehen Reinhard und Heidi und holen uns ab. Die zwei sind wirklich unglaublich, sie lassen sich auch nicht davon abbringen, unsere Rucksäcke zu tragen. Also wir haben da jetzt absolut nichts dagegen.
„Mir habe uns überlescht, dass mir eusch de Freud mache.“ – ich liebe es, wenn er redet, könnte stundenlang zuhören!
Heidi fragt Doreen gleich noch mal, ob ihr denn der Gurt gepaßt hätte, der wäre ihr doch viel zu groß. Nettes Kompliment! Ständig muß sie darauf eingehen, dass wir nicht so dünn sind wie Heidi – aber mal ehrlich, wer will denn so aussehen?!
Ich glaube Heidi ist neidisch auf Doreen. Ihre Art auf Leute zuzugehen, sie anzusprechen, ihnen zuzuhören, aufmerksam zuzuhören, die Art wie sie sie dabei ansieht – das ist einzigartig und macht Doreen vom ersten Augenblick an zu einem extrem sympathischen Menschen. Leider fehlt mir das auch, aber Heidi kann das nun so überhaupt nicht. Darum verteilt sie auch mal gerne kleine Giftpfeile gegen uns.
Sie meinen uns auch schockieren zu können, dass es wohl doch nicht so geklappt hat mit den Betten und einer muß auf der ISO Matte schlafen. Mich schockiert nichts, Hauptsache das Brennen der Füße hört endlich auf und ich kann irgendwo liegen. Ich stelle es mir zwar nicht so kuschlig mit Heidi in einem Zimmer vor, aber was soll’s? Besser als auf dem uns schon angebotenen Steinfußboden ist das allemal.
Wir kommen in eine Art Wohnhaus, dessen Zimmer einzeln vermietet wurden. Heidi und Reinhard freuen sich diebisch, dass sie uns veralbert haben, als sie uns unseren Zimmerschlüssel reichen. („I mußt jez ganz schö an misch halte, dass i misch nisch verpappel du.“)
Uns gehört die obere Etage und unser Zimmer ist total klein. Im Normalfall hätte mich das gestört und schockiert. Aber ich bin wieder nur dankbar, und nehme ohne weitere Frage auch die Aufbettung.
Wir liegen auf den Betten und kriegen wieder den totalen Lachanfall. Wir können uns gar nicht mehr beruhigen. Doreen versucht unter Dauergelächter ihren gestrigen Satz noch mal rauszubringen „Na, bei den beiden geht doch heute noch was!“
Es ist wirklich so merkwürdig komisch. Normalerweise gibt es da ja gar nichts zu lachen, aber hier war die Situation unerklärbar komisch, dass wir uns gar nicht mehr beruhigen konnten.
Allein die spanische Geste für „Obbacht“ löste Lachkrämpfe aus.
Und dann philosophierten wir noch, dass die Aufbettung zweifelsohne in dem größeren Zimmer gestanden hatte. Das konnten die uns doch nicht erzählen! Die hatten die Aufbettung schön nach nebenan geschoben um ihre Ruhe zu haben. Aber sie taten so, als sei nichts. Herrlich, wie im Kindergarten!
Nachdem wir uns zumindest einigermaßen beruhigt hatten, duschten wir und wuschen gleich noch ein paar Sachen. Hier gab es immerhin eine Wäscheleine. Wir hofften den Kleiderbügel, den wir aus Palas de Rei mitgenommen hatten, dann auch endlich hier lassen zu können.
Doreen brauchte wieder Stunden. Dabei stelle ich mir immer die Frage, ob ich besonders schnell bin, oder sie besonders langsam. Aber irgendwie scheine ich da einen kleinen Schaden zu haben. Waschen und Zurechtmachen (wobei man von zurechtmachen ja hier nicht sprechen konnte – eigentlich war es nur Wäschewechsel) geht bei mir immer total schnell. Wahrscheinlich eine Meise aus der Kindheit, wo wir nach dem Schwimmunterricht immer schnell machen mußten.
Dann kriegte sie die Badtür nicht mehr auf und ich überlegte schon mal, an welcher Hauswand ich hochklettern müßte, um sie zu retten.
Dann kam mir der rettende Einfall, doch mit Felix Taschenmesser die Schlösser abzuschrauben, aber dann ging sie doch wieder auf und ich konnte die Rettungsaktionen abblasen. Wir konnten uns endlich was zu essen suchen. Irgendwie hatten wir mittags ja nichts richtiges gekriegt und der Hunger nagte an mir und ließ meine Laune merklich absinken.
Wir suchen ein Restaurant, Reinhard ist göttlich bemüht um uns. Das ist schon echt niedlich. Heidi treibt das scheinbar in den Wahnsinn, aber das kann uns ja nicht stören, schön von einem Mann umsorgt zu werden. Sie ist richtig wie eifersüchtig und eine neue Lachsalve scheint auf uns zuzurollen. Aber wir können ihr ausweichen. Echt, soviel wie wir lachen muß man ja denken, wir nehmen was!
Endlich finden wir eine Bar, wo man auch richtig was essen kann.
Eigentlich wollte ich ja draußen sitzen – ich liebe es, wenn das Leben um mich herum pulsiert – aber man führt uns in einen Raum, wo die Tische einfach nett gedeckt sind und da sitzen auch unsere drei Italiener. Wir freuen uns und winken ihnen zu.



Der Kellner ist unfreundliche – aber das ist ja nichts neues. Langsam gewöhnen wir uns an spanische Gastlichkeit. Am Ende des Abends würde der sicher auch wieder auftauen. Ein wenig eingeschüchtert trauen wir uns dann aber doch etwas zu bestellen, auch wenn es wieder komisch aussieht, schmeckt es göttlich. Ich weiß nicht womit die würzen, aber es schmeckt ganz anders als zu Hause, interessant anders.
Nicht dass ich mir ernsthaft Gedanken über die Zubereitung der Speisen mache, um die eventuell nach zu kochen, ich genieße es einfach.
Als der Kellner die Suppe von Heidi und Reinhard aufschöpft  befürchte ich schon, dass die beiden auch gleich einen Schwapp über die Klamotten kriegen. Was ist das nur hier?
Die Zwei erzählen, wen sie so alles getroffen haben – nicht vergleichbar zu unserer „Ausbeute“ an merkwürdigen Menschen -, manche Landschaften haben sie gar nicht wahrgenommen. Und das finde ich echt schlimm. Bloß gut, dass wir die Walzertänzer auf dem Camino sind und alles so genießen. Ich höre nur Heidis Gejammer, dass wir morgen da sein werden, aber warum genießt sie dann nicht alles in vollen Zügen?
Wir lachen und schwärmen und erzählen natürlich auch von unserer Bekanntschaft mit Richard Gere, der am Nebentisch sitzt. Bei denen geht es hoch her, so wie die trinken, gehen die morgen keinen Meter. Während wir noch an der ersten Falsche nuckeln, haben die schon zwei getrunken und beginnen nun mit Schnaps. Doreen gibt meine Erkenntnis in perfekten Englisch an Richard gewannt weiter. Der  antwortet „Warum sollen wir nicht laufen?“ – Es ist wie im Film, Doreen und ich starren uns einfach nur an. Was war das jetzt? Haben wir uns verhört, oder hat der wirklich in perfektem Deutsch geantwortet? Das gibt es doch gar nicht! Wir quälen uns auf Englisch ab und dieser Idiot genießt unsere Quälerei. Das ist ja wohl die totale Frechheit. Auf der Sympathieskala ist der jedenfalls gesunken – da helfen auch die Augen nicht!  Aber die drei lachen sich halb krank. Die Frau sagt, sie verarschen immerzu hier die Leute. Gerne tritt sie auch mal als Dolmetscherin auf. Sie stamme aus Bayern und sei Italienischlehrerin, Richard ist Südtiroler und spricht von Hause aus beide Sprachen. Der Dritte ist der einzige „echte“ Italiener, aus Rom.
Klasse und wir Idioten fallen auch noch auf diese Blödköpfe rein. Ich bin stinksauer – kann das aber gut verbergen.



Zunächst haben wir noch tierischen Spaß mit dem Kellner, weil er aussieht wie einer von den Klitschko-Brüdern fragen wir ihn, ob wir ein Foto machen dürfen. Er ist total verduzt, freut sich aber über das Kompliment und nun stellen wir fest, dass er richtig lachen kann. Er gibt uns auch noch ein Autogramm und ist richtig begeistert von uns.
Schließlich schenkt er uns noch eine Karte von Santiago – die werden wir morgen sicher brauche. Lachend ziehen wir davon.





Ich ärgere mich immer noch über die drei Italiener. Aber viel wichtiger wäre die Frage, warum verletzt es so, wenn man so auf die Rolle genommen wird? Und ganz plötzlich ist da so ein Gedanke, er ist ganz weit hinten und als ich ihn endlich zu fassen kriege, bin ich ausgesöhnt.
Nicht wir sind die angeschmierten, Richard ist der Idiot. Wäre er ehrlich gewesen,    
hätte es ein gutes Gespräch werden können. Aber durch seinen „Spaß“ hat er das auch für sich selbst verhindert.
Das sollte ich mir wirklich merken: wenn mich zukünftig wieder jemand auf die Rolle nimmt, ist das nicht schlimm für mich, denn der andere hat verhindert, dass es ein guter Tag, ein gutes Gespräch wird. Nicht ich bin die Verarschte – der andere hat sich selbst verarscht!
Wir gingen zurück und während ich auf meiner Aufbettung sitze - und nach Socken Jockel versucht nun auch die Bettwäsche meine Toleranzschwelle zu sprengen – und versuche das wichtigste, was wir heute erlebt habe kurz festzuhalten, stürzt Doreen rein und schmeißt sich lachend aufs Bett und teilt mir kichernd und flüsternd mit:„Du, ich will gerade aus dem Bad, da steht Reinhard splitterfasernackt im Zimmer – ich sag dir, da geht noch was.“
Erst nach mehrmaligem Nachfragen  verstehe ich sie überhaupt, doch dann muß auch ich loslachen.
Lachend schliefen wir ein.

 
06.07.07

Wir waren wohl die allerletzten, die das Haus verließen – warum rennen eigentlich alle hier so früh aus dem Haus? Heidi und Reinhard waren sicher auch wieder schon nach dem Morgengrauen aufgebrochen, wollten uns doch tatsächlich noch Tee fürs Frühstück dalassen. Aber wir fühlten uns nun doch schon wie Spanier und wo geht der Spanier hin, wenn er frühstücken will? In eine Tapas Bar. Wir hatten schon böse Befürchtungen, es käme keine mehr, weil wir in Richtung Ortsausgang untergebracht waren - zum Zurücklaufen waren wir jetzt eigentlich auch zu faul. Aber wir fanden eine.
Da saßen wie immer noch andere und wir nahmen die herrliche Mahlzeit zu uns – Croissants und Milchkaffee.
Am Nachbartisch saßen eine Mann und ein junges Mädchen. Sie sprachen uns an und wir erfuhren, dass sie auch schon in Frankreich aufgebrochen waren. Ein angenehmes Paar, dass uns durch den Tag begleitete. Er war aus Österreich und seine Tochter lebte in NRW. Wir fragten nach ihren lustigen Erlebnissen und er meinte, dass lustigste wäre wohl gewesen, als die Frau in Burgos früh um sechs schreiend und kreischend aus ihrem Bett aufgesprungen wäre und geschrien hatte, sie habe Wanzen. Das Mädchen hatte das wohl nicht so lustig gefunden, aber der Mann lächelte, wohl auch weil er es überstanden hatte.
Dann lief draußen das Kamerateam vorbei und der Mann, der das Tuch verloren hatte.
Doreen hatte am Morgen schon überlegt, ob sie es wohl in der Herberge lassen sollte, hatte sich dann aber dagegen entschieden. Sie zerrte es von ihrem Rucksack und rannte hinterher, als ob es darum ginge eine Meisterschaft zu gewinnen. Er erkannte es sofort wieder und war unheimlich glücklich, es wiederzuhaben. Auf dem Camino geht eben nichts verloren.
Der Österreicher und seine Tochter fanden die Geschichte nett.
Dann machten wir uns auch auf den Weg. Er führte uns durch einen herrlichen Wald, der so saftig grün war, dass es fast in den Augen wehtat. 







Wie jeden Morgen schienen hunderte mit uns loszulaufen. Für die Einwohner der Orte musste das doch wie eine Heuschreckenplage sein, die jeden Tag in ihre Orte einfiel und am nächsten Morgen weiterzog.
Sollte das heute wirklich unser letzter Tag sein? Wehmut überkam mich und während Heidi gestern laut darüber rumgeheult hat, nahm ich den letzten Tag noch mal richtig in mich auf. Wir waren wieder aufgekratzt. Am Wegrand hatte jemand seine Wanderschuhe stehengelassen und sie waren gelb angesprüht. Wir stellten uns dazu und fotografierten unsere Schuhe mit den zurückgelassenen. Die vorbeiziehenden lachten herrlich und wir winkten ihnen fröhlich zu.



Außerdem meinte Doreen, wenn wir den mit der gelben Farbe sehen, den müssen wir unbedingt was zustecken, so schön wie der das mit den Pfeilen gemacht hatte. Wir hatten uns nicht einmal verlaufen.
Die Frau mit dem bunten Hut sahen wir auch wieder. Wir lächelten uns an.
Der Tag hatte sich wohl auch noch nicht recht entschieden, wie er werden sollte und während wir einen Berg hochkrackselten, meinte Doreen sie wolle wohl nun auch Karsten die Hautgeschichte verzeihen. Es wäre wohl Zeit. Ich  meinte das auch. Ich kannte sie jetzt seit 16 Jahren. Wie lange musste das also zurückliegen. Wir waren also der Meinung, dass wir doch auch ein paar Dinge zurücklassen sollten. Der Weg hatte so viele Geschichten von uns gehört und aufgenommen und die Last, die zu Anfang auf uns gelastet hatte, war gar nicht mehr so groß – auch im eigentlichen Sinn. Irgendwie war das Gewicht unseres Rucksackes kleiner geworden und das konnte nicht nur an den gegessenen Schockoriegeln liegen!
Nur meine Füße gewöhnten sich auch heute nicht an die Lauferei.
Wir hielten wiedermal still, als die drei Deutschen aus Portomarin uns überholten. Ich war auch der Meinung wir könnten ihnen auch verzeihen, dass sie behauptet hatten, wir hätten geschnarcht. Ich hatte nichts bemerkt und auch Doreen sagte nichts. Also konnte es ja wohl nicht so schlimm gewesen sein.
Wir waren heute eindeutig in Verzeihstimmung.
Die Landschaft wechselte ständig ihr Aussehen, mal war es dunkel, dann wieder hell und die Sonne brannte erbarmungslos auf uns nieder.






Wir liefen vorbei am Flughafen und wussten eigentlich, dass es jetzt nicht mehr weit sein konnte – lt. Straßenkarte sind es 10 km bis Santiago - aber wie immer zog es sich.
In einem Cafe am Wegrand hielten wir wieder still. Da saßen auch die drei Deutschen und während Doreen was zu essen besorgte – ohne sie wäre ich zweifellos verhungert, denn wenn ich einmal saß, dann saß ich auch fest. – da kam Araberhose vorbei. Sie hatten demnach doch was zu schlafen gefunden. Schön, dass hier keiner verloren geht.
Dann kam Shae. Sie saß am Nachbartisch und wir kamen ins Gespräch. Sie meinte, sie wolle nur bis Monte de Gozo – dem Berg der Freude. Sie habe Angst anzukommen. Ihr tragisches und doch glückliches Lächeln sprach Bände.
Ich hatte mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich wusste nur, dass ich es vermissen würde, mit Doreen zu reden. Und immer wieder hörte ich es im Hinterkopf rufen „In Santiago bekommt jeder den Empfang, den er verdient“
Wie würde wohl mein eigener werden?
Wir würden in Santiago noch einen Tag Zeit haben und Shae bestimmt wieder sehen. Unseren eingebauten „Joker“Tag hatten wir nicht gebraucht – falls wir das heute schaffen. Die ganze Zeit habe ich Angst, dass wir es doch nicht schaffen, dass wir umknicken, oder stürzen oder irgendwas passiert. Man kann nicht wissen, was alles passiert.
Wir liefen durch die Orte und Doreen jammerte pausenlos, dass wir zu früh hier wären. Wie schön musste es doch im Herbst sein, wenn die Früchte reif sind, die Pflaumen, die Äpfel, die Birnen und die Weintrauben und die Feigen (die sie auch unreif immer wieder aß). Aber ich meinte, so lange können wir jetzt eben  nicht warten, bis alles reif ist, außerdem bin ich im Herbst 40 und dann schaffe ich diesen Weg sicher nicht mehr.
Vor einem Pflaumenbaum, der hinter einem Abhang stand, musste ich fast körperliche Gewalt anwenden. Wie Rumpelstilzchen sprang sie davor hin und her und wollte die reifen Pflaumen pflücken. Ja, warum hingen die wohl noch, weil die anderen Pilger vielleicht auch nicht hinkamen? Die vorbeiziehenden Pilger lachten über ihren sichtbaren Schmerz, aber schließlich gab sie auf und zog mit mir weiter.
In der nächsten Ortschaft sah sie ein paar Pilger, die wir auch schon früher gesehen hatten, aber nicht mehr wussten wo eigentlich, die Pfirsiche aßen. Völlig von Sinnen rannte sie los und wollte an einem Wagen, der weiter unter stand Pfirsiche kaufen. Aber das war nur ein Lieferwagen, der Schulspeisung für die Kinder brachte. Sie war total enttäuscht, auch wenn der Mann ihr Orangen angeboten hatte. Die hätte er ihr gerne auch geschenkt.
Wir liefen weiter und vor lauter Plabberei hätten wir beinah die Pfeile übersehen.
Auch zum Mittag hielten wir nicht an. Wir sahen den Österreicher mit seiner Tochter und zogen nur winkend weiter.
Wenig weiter lagen Araberhose und ihre Freundinnen an einem Brunnen. Sie schien den ganzen Rucksack nur mit Schuhen vol zu haben, denn jedes Mal wenn wir sie sahen, hatte sie andere Schuhe an.
Wir liefen noch ein wenig – Doreen trauerte immer noch um die Fruchte, als wir einen Getränkeautomaten sahen und unsere Flaschen auffüllen wollten. Da sahs wieder die Frau mit dem bunten Hut und hatte die gleiche Idee gehabt. Sie redete lustig auf uns ein und wir fragten sie nach dem Kuscheltier, dass sie an ihrem Rucksack hatte. Es sei von jemanden, der vor vier Jahren auf dem Camino war und sie trug es bei sich  als eine Art Glücksbringer. Das verstanden wir zumindest.
Wie sie hatte auch ich meine Schuhe ausgezogen. Auch wenn jeder Wanderer sagt, man soll die Schuhe nicht zwischendurch ausziehen, hatte mich das nie davon abgehalten und es war auch nie ein Problem.
An uns vorbei kam eine kleine Gruppe Assiaten – ohne Gepäck, aber mit einer herrlich großen Kamera. Wir kiecherten vor uns hin.
Wir liefen und liefen und unsere Kinder waren das Thema auf dem nächsten Abschnitt. Doreen beneidete mich, weil ich mit Max schon die dankbare Phase erreicht hatte: er freut sich, wenn  er kommt, was leckeres zu essen kriegt und ich seine Wäsche wasche. Da kommt sogar mal ein Danke. Sie erzählte von Karos Einstieg in die Buchhändlerlehre und es war nicht zu überhören, wie stolz sie auf sie ist – mit Recht.
Dann wollte ich ihr die Geschichte mit der Band erzählen, die ich von Max wusste, aber mir fiel eben der blöde Bandname nicht ein. Die Geschichte konnte ich aber unmöglich erzählen, ohne diesen Namen und im Laufe des Tages bauschte sich die Geschichte immer weiter auf. Eigentlich war sie gar nicht so lustig, aber man konnte rein erzählmäßig was draus machen. Doreen war gespannt wie ein Flitzebogen, aber ich weigerte mich. Die Geschichte mußte ich ihr schuldig bleiben.
Es ging auf der Straße bergauf  und bergab und von Santiago war nichts zu sehen.
Vororte kündeten davon, das wir schon nah dran waren. (Aber was ist für uns schon nah? Bei der sicher immer weiter verringerten Stundengeschwindigkeit?)
Dann erreichten wir den Monte de Gozo. Hier war eine kleine Kapelle und wir gingen ins Innere. Jedesmal wenn ich hier eine Kirche betrat, wurde ich von einer seltsamen Ruhe erfasst.
Das große Denkmal, das auf dem Hügel errichtet worden war und an den Besuch von Johannes Paul erinnerte sahen wir uns aber nur von unten an. Der Österreicher und seine Tochter kletterten den Berg hoch, wir gingen weiter.
Und dann war uns klar, warum es „Berg der Freude“ hieß: Santiago lag vor uns. Angst und Freude stieg gleichzeitig in mir auf.
Nach all der Ruhe war mir nicht wohl in so eine große Stadt zu laufen, andererseits war ich so gespannt auf die Stadt, die Kathedrale, und auf meinen ganz persönlich Empfang.
Wir lachten schon wieder, weil Heidi sich am Vortag extra Kniebandagen gekauft hatte, um sich in der Kirche auf die Knie fallen zu lassen. Wie kann man das nur so planen? Aber so ist sie eben, sie macht sich ihren Plan im Kopf fertig und dann wird das eben so. Wir wären gerne dabei und hätten das gesehen, aber eigentlich reichte uns schon die Vorstellung.

Endlich das Ortseingangsschild. Über die alte  Holzbrücke kamen wir in die Stadt, der Verkehr tobte um uns herum. 



Von der Kathedrale war nichts zu sehen und auch die Kilometersteine schien jemand geklaut zu haben. Und wo waren eigentlich die gelben Pfeile?
Also ob der mit der Farbe nun doch Geld von uns bekommt, müssen wir uns dann doch noch mal überlegen.



 
















Endlich sahen wir einen Stein – mit Meterangabe: noch 2750Meter.
Wir ließen uns in einem Cafe nieder und beschlossen unsere Eltern anzurufen – später würden wir sicher nicht mehr in der Lage sein und bestimmt nur heulen.
Dann meinte Doreen, wir gehen jetzt einfach nicht weiter, wir bleiben einfach hier und gehen erst morgen. Jetzt hatte sie es auch erwischt.



Nach unendlich langer Zeit rafften wir uns dann doch und gingen zielstrebig drauflos. Wir bewunderten wieder die freihängenden Leitungen, die Bauweise der Wohnblocks und dann sah ich nichts mehr, ich nahm weder die Gegend auf, noch die Menschen, noch was um mich herum passierte. Irgendeine Truppe wollte uns einen Fragebogen in die Hand drücken, aber auch mein Sprachverständnis war vollkommen weg.
Wir liefen und dann waren wir umgeben von den Mauern der Kathedrale. Wir betraten sie von einem Nebeneingang.

Was wir dabei fühlten und dachten – das bleibt wohl in uns selbst. Eine ganze Weile blieben wir still auf den Bänken sitzen.

Und da waren auch unsere drei Franzosen - sie waren schon mit Flip Flops unterwegs und wir fielen uns in die Arme, als wären wir die besten Freunde. Dann waren sie weg.
Als wir die Kirche durch den Haupteingang verließen, legten wir uns mitten auf den Platz davor auf unsere Rucksäcke. Die Steine waren warm und angenehm und wir starrten auf die Kathedrale, die in strahlendem Sonnenschein vor uns lag. Der Himmel hätte nicht blauer sein können und ein unglaubliches Glücksgefühl kam in uns auf – und Ruhe.





 














Ich habe keine Ahnung, wie lange wir da lagen – irgendwann kamen Heidi und Reinhard, auch völlig aufgelöst vor Glück.
Doreen beschloss, sich erstmal ihre Campostella zu holen – in einem Anflug von Sentimentalität hatte ich beschlossen, dass das Datum meines Geburtstages drauf stehen sollte, also wollte ich bis morgen warten. Dann suchten wir ein Quartier. Reinhard kümmerte sich wiedermal rührend um uns – die Rucksäcke trugen wir aber diesmal selber voller Stolz: wir sind Pilger. Und das Gewicht schienen wir auch kaum noch zu spüren.
Er rannte von Cafe zu Cafe und fragte nach einem Hotel oder Pension und endlich fanden wir ein kleines Hotel in einer Nebenstraße, dass wir für 60 Euro bekamen. Erst erschien es uns etwas teuer, aber es ging durch zwei und so war der Preis dann doch erträglich, zumal es in unmittelbarer Nähe der Kathedrale lag.


Wir verabredeten uns für 20 Uhr auf dem Platz und duschten erstmal. Nicht ohne zuvor wieder einen Lachkrampf zu kriegen. Meine Füße sahen jetzt schon ehr eklig aus.


Nachdem wir geduscht hatten, bemerkten wir erstmalig, dass wir nicht das geringste Schminkzeug dabei hatte. Selbst ein Kajalstift war uns zu schwer erschienen. Und bisher hatten wir ja auch keine Lust verspürt uns zu schminken, aber heute musste doch gefeiert werden.
Pünktlich um Acht waren wir fast schon erholt auf dem Platz und keine Spur von unseren beiden überpünktlichen!
Dafür sahen wir Richard, aber er hörte blöderweise nicht auf den von uns verpassten Namen. Wir saßen auf den Steinbänken und kamen ins reden mit ihm. Er war unglaublich ernst und erzählte uns, dass sich die drei „Italiener“ erst in Frankreich kennen gelernt hatten und sich seitdem auch nicht mehr trennen wollten.
Dann klärt er uns erstmal über das Geheimnis des billigen Essens auf: das sind Pilgermenus, die nicht teurer sein dürfen und bestehen immer aus 3 Gängen und einer Flasche Wein und einer Flasche Wasser. Aber der Wein sei schlecht – was ich stellenweise bestätigen konnte. So tat sich wieder ein Geheimnis des Weges vor uns auf. Seinen kleinen Scherz hatten wir ihm  verziehen und umarmten die drei. Dann waren sie weg.
Heidi und Reinhard nährten sich schnellen Schrittes – sie wären in dem umwerfenden Hotel zum Essen gewesen. Wie - Heidi in dem Hotel? Heidi der Sparfuchs – das ging doch gar nicht! Hatten die Abschied gefeiert oder was war das?
Aber wir erfuhren auch sogleich das große Geheimnis.
Das Hotel hatte bei seiner Eröffnung die Auflage erhalten, jeden Tag 10 Pilgern, die eine Compostella vorweisen können, ein kostenloses Pilgermenu vorzusetzen. Herrlich – ich war begeistert. So was hatte ich wirklich noch nie gehört.
Wir suchten uns ein Cafe und hatten auch Hunger – nicht groß, aber spürbar. Und nun taten sich ganz andere Preise vor uns auf. Auch wenn ich noch Pilger war – Doreen hatte mit dem Ausstellen  der Campostella den Status schon aufgegeben, gab es hier eben keine Pilgermenus mehr.
Wir entschieden uns für Jacobsmuschel – nicht ganz billig, aber sehr schmackhaft und wenn man schon mal hier ist, dann muß das wohl sein.


Wir tranken Wein, lauschten den Straßenmusikanten und es war einfach nur schön.
Als wir ins Hotel gingen, war Doreen total geschafft. Sie wollte einfach nur ins Bett.
Wir resümierten, dass die Sache mit Heidi und Reinhard wohl vorbei war, er ginge ihr auf die Nerven. Und wir liebten ihn umso mehr, so wie der sich um uns kümmerte.
Dann schliefen wir ein, ich hörte mein Handy piepen- sicher Glückwünsche zu meinem Geburtstag, aber ich wollte nicht aufstehen. Wozu gratulierte man mir? Ich wollte es nicht lesen. Welches Recht hatte ich Glückwünsche entgegen zu nehmen zu etwas, wofür ich gar nichts kann? Wenn mir jemand zu dem Weg gratuliert hätte – ja, das hatte ich mir verdient und darauf war ich unsagbar stolz. Doreen verharrte, mit der Kerze in der Hand und wartete darauf, dass ich mich regte. Sie hatte tatsächlich ein Teelicht aus Deutschland mitgebracht, um mir eine Kerze anzuzünden, aber ich schlief einfach zufrieden und glücklich ein.


 
07.07.07


Ich erwachte vom Glockenleuten der Kathedrale und schlich mich aus dem Bett, wusch und kämte mich und kletterte aus dem Fenster, um den Tag zu begrüßen. Ich fühlte mich herrlich erholt, zufrieden und glücklich.
Doreen wachte auf. Sie sagte: „Dann machen wir es jetzt mal so..“, zündete die Kerze an und gratulierte mir. Ich war so gerührt von der mitgebrachten Kerze, dass ich fast wieder geheult hätte. Der Kajastift war uns zu schwer. Und sie hatte die Kerze mitgeschleppt – echt schön.
Wir gingen frühstücken und da kam auch die Hotelangestellte, brachte mir eine brennende Kerze und Pralinen und sagte in ihrem herrlich eingefärbten Spanisch-Englisch „Happy Birthday“
Und hier in diesem wunderbaren Hotel gab es sogar Käse und Wurst zum Frühstück. Das war ja nun mal was ganz anderes.




Dann kam jemand die Treppe herunter – die Frau mit dem bunten Hut – wir riefen und winkten und sie war genauso freudig überrascht wie wir. Wir fielen uns wieder in die Arme. Santiago ist eine tolle Stadt!!
Wir liefen durch die Straßen und ich war nun bereit, meine Campostella abzuholen. Es war mein schönstes Geschenk. Die Frau am Schalter lächelte mich an und fragte, ob ich den ganzen Weg gelaufen sein. „Si“, sagte ich, nicht ohne Stolz in meiner Stimme. Ich war jeden Meter gelaufen, hatte all die Schmerzen ertragen, hatte gelacht und geweint, ja, ich hatte sie mir redlich verdient.

 
Und da stand Socken-Jockel. Er war also auch angekommen. Wir umarmten uns, auch wenn wir dabei kein gutes Gefühl hatten – wir mussten an seine Läuse Geschichte denken. Doreen war sichtlich erleichtert, dass sie eine Mütze aufhatte. Und da war auch Keith. Aber er sah uns nicht.


Wir schlenderten zurück zum Vorplatz der Kathedrale und kauften die kleinen Glöckchen, von denen wir annahmen, dass Hape sie gemeint hatte – ich wollte sie zu Hause verschenken. Wer das Buch gelesen hatte, wusste sicher was ich meinte.
Aber die gute Frau konnte uns nicht wechseln, so nahmen wir eben gleich mal vier. Auch wenn wir nicht wussten, was wir damit anfangen sollten.


 
Erst später, als wir schon zur Messe gehen wollten, sahen wir Keith mit Shae vor der Kirche. Sie war so unglaublich glücklich, ihre Augen strahlten, so wie unsere gestrahlt hatten.
Sie war am 23. Mai aufgebrochen und heute hier angekommen. Wir konnten nicht anders, als ihre unsere Bewunderung auszudrücken.
Wir verabredeten uns abends n der Moskito Bar. Keith meinte, wir würden sie schon finden, wir sollen einfach den Weg zurückgehen.



 
 










Wir trafen uns mit Heidi und Reinhard um in die Messe zu gehen. Sie gratulierten mir zum Geburtstag – Ups, das hatte ich ja total vergessen, es war so was von unwichtig und egal geworden. 
Die Kirche war zum Brechen voll und Heidi meine, man solle doch nur die gelaufenen Pilger reinlassen. „Ich glaube, Gott ist für alle da.“, konnte ich mir nicht verkneifen ihr zuzuzischen. Sie kann wirklich schlimm sein.
Wir hatten uns am Fuß einer Säule niedergelassen und eine Nonne trat vor und begann zu singen. Ihre Stimme war so rein, so krafterfüllt und voller Freude, dass wir sie vor erstaunen nur anstarren konnten.
Ich hatte keine Ahnung, was sie sang, oder was gepredigt wurde, aber ich fühlte wieder das, was ich in all den Kirchen am Weg  gefühlt hatte. Normalerweise fühle ich mich immer irgendwie beklemmt in Kirchen, aber nicht hier. Es war wie Goethe sagte „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“
Die Pilger wurden verlesen, die am Tag zuvor in Santiago angekommen waren, nicht namentlich, nur aus welchem Land und von wo sie gestartet waren. Es war eine unglaubliche Anzahl und die Liste schien kein Ende mehr nehmen zu wollen.
Wir verließen die Kirche und da trafen wir Araberhose. Es ist unglaublich, man fühlt sich so empfangen von dieser Stadt und überall trifft man Bekannte, die alle frohgelaunt, glücklich und mit sich im Einklang sind. Wir umarmten uns und wünschten uns einen schönen Tag.
Als wir später beim Essen saßen, kam auch Raul auf uns zugerannt.
Es war einfach nur schön.
Ich war glücklich, nicht so ein Rennpilger gewesen zu sein, sondern dass wir uns die Zeit genommen hatten, den Weg mit seinen Menschen kennengelernt zu haben, so viele Nationen, so viele unterschiedliche Menschen und wenn ich jetzt über den Satz „Jeder bekommt den Empfang, den er verdient“ nachdachte, konnte ich nur feststellen, dass wir wohl so schlechte Menschen nicht sein konnten – es war ein schöner Empfang in der Stadt des Heiligen. 


Ich hatte nicht wirklich Hunger, ich genoß einfach das Feeling, die glücklichen Menschen um mich herum, die Sonne, einfach alles.
Verschiedene Leute erreichten mich sogar auf dem Handy – die unmöglichsten Glückwünsche bekam ich und die dümmsten Sprüche.
Wenn all die nur wüssten, was es bedeuten kann hier zu sein, wäre die Wortwahl sicher ein wenig anders ausgefallen.
Meine Eltern rief ich zurück, sie hatten mehrfach währned der Messe versucht mich zu erreichen und dankte meiner Mutter, dass sie mich zur Welt gebracht hatte. Ich glaube uns standen gleichzeitig die Tränen in den Augen.
Reinhard zahlte das ganze Essen, ich war total schockiert und erfreut von dieser Geste. Er ist wirklich ein netter Mensch.
Wir durchstreiften die Stadt und plötzlich hatten wir die Idee, Heidi und Reinhard was zum Abschied zu kaufen – Reinhard bekam eine kleine Pillendose für seine Zuckertabletten und Heidi ein Armband mit dem Pfeil – vielleicht verlor sie so nicht mehr so oft ihre Richtung. Wir fanden das passend und kiecherten schon, weil sie sicher ganz gerührt sein würden.



Wir gingen zurück ins Hotel und wollten noch ein wenig schlafen, bevor wir uns in den Abend stürzen wollten.
Es war ein komisches Gefühl, aber die Füße taten nicht weh.
Ich war auch nicht so kaputt, dass ich hätte schlafen können, also lagen wir einfach da und redeten.
Wie würde ich das vermissen – ich wusste es schon jetzt.
Ich entschloß mich, ihr eine Geschichte zu erzählen, die ich schon auf dem ganzen Camino mit mir rumgeschleppt hatte und die ich auch noch hier lassen wollte.
Doreen ist ein klasse Zuhörer und am Ende meinte sie nur „Das tut mir echt leid.“ Damit war alles gesagt.

 
Um halb sieben wollten wir uns wieder auf dem Platz treffen, wir wollten ja zu dem Pilgermenu.
Als wir in der Tiefgarage standen und warteten, umgeben von ein wenig Schimmel an der Decke, ahnte ich schon, dass das wohl zu einem der peinlichsten Geschichten in meinem Leben gehören würde.
Sieben Franzosen waren da und wir waren zu viert, also war einer zuviel. Reinhard meinte gleich, dass er nicht mitgehen würde – zu unseren Gunsten darauf verzichten. Aber das kam ja wohl gar nicht in Frage. Entweder gingen wir alle, oder keiner. Oder Doreen und ich gingen woanders hin– was uns beiden eigentlich recht gewesen wäre. Die Franzosen probten schon mal den Aufstand – ich hatte nie so schlimme Leute kennengelernt.
Man fuhr die tollsten Schlitten an uns vorbei und langsam kamen wir uns vor wie Bettler.
Endlich kam der Mann, der die Compostellas einsammelt und meinte, es sei ihm egal, dann sollen wir eben alle 11 gehen.
Reinhard und Heidi stürmten voran und wir konnten kaum Schritt halten.
Das Hotel war wirklich eine Pracht. Wir durchliefen einen Raum, in dem gerade ein Hochzeit oder so was stattfand. Die Leute waren hochelegant gekleidet. Das Bettlergefühl wurde dadurch nicht unbedingt weniger. Wir liefen hinter den anderen her, durch Gänge, vorbei an Zimmern die die Rückseite des Hotels zeigten in die Küche. „Nee“, meinte Doreen „eigentlich wollte ich nie wieder in eine Großküche gehen.“
Heidi und Reinhard waren die ersten, griffen nach Tabletts und begannen aufzuladen – alles viermal. Die Franzosen waren kurz davor uns zu lünchen. „Laß uns abhauen.“, fasste Doreen meine Gedanken ziemlich treffend zusammen. Wir wollten an den Franzosen vorbei und Heid und Reinhard Bescheid sagen, aber die grimmigen Blicke der Franzosen ließen das nicht zu. Ich vermutete, sie hatten bestimmt auch Messer dabei und würden sich nicht scheuen, die auch mal einzusetzen.
Heidi und Reinhard hatten drei Teller erbeutet – den vierten hatten die Franzosen von ihrem Tablett genommen und wir gingen in einen der Räume, an den wir vorher vorbeikommen waren.
Weder Doreen noch ich hatten Hunger. Das war sozialer Abstieg. Das sind bestimmt die spanischen Tafeln! – zumindest hatten wir den Eindruck.
Ich fühlte mich so erniedrigt, so mies behandelt, wie ich es selten vorher erlebt hatte und schüttete mehr oder weniger den Wein in mich hinein. Die Franzosen, die nun glücklich waren, dass sie alle ein Essen erbeutet hatten, waren etwas milder gestimmt – zumindest war keiner mehr bereit ein Messer zu ziehen. Als uns ein Kellner Bananen brachte, glaubte ich völlig an die spanischen Tafeln. Also Frank ist schon alles an Bananen, Doreen ist ja auch gerne mal unreife, aber die Dinger da, die hätte ohne Frage keiner von beiden angerührt.
 Ich wollte nur noch raus hier. Das Essen rührten wir kaum an und verließen wirklich fluchtartig den Ort des Grauens.
Wir konnten es nicht fassen Heidi und Reinhard hatten sich das auch noch zweimal hintereinander angetan! Freiwillig!
Nichts wie weg und alles vergessen – war unser einziger Gedanke.
Wir suchten uns ein kleines Cafe in einer Nebenstraße und vermieden es tunlichst, von diesem Ereignis auch nur andeutungsweise zu sprechen.
Endlich hatten wir unweit der Kathedrale ein Plätzchen gefunden, tranken Wein und es war Zeit den beiden unsere kleinen Geschenke zu übergeben. Wir hatten sie mit dem eingepackt, was uns zur Verfügung stand. Nicht gerade supertoll, aber niedlich. Die beiden freuten sich total und wir waren glücklich, ihnen eine Freude gemacht zu haben.



Dann wollten wir weiter in die Moskito Bar. Heidi und Reinhard verabschiedeten sich. Morgen würde Reinhard weitergehen bis ans Meer, Heidi würde zu uns in Hotel kommen und wir wollten zusammen zum Flughafen. Wir drückten Reinhard ein letztes mal und wünschten ihm Glück.
Dann gingen die beiden.
Albern wie wir waren, versteckten wir uns hinter einem Laster um zu sehen, ob die beiden Hand in  Hand weitergehen würden. Wir kicherten uns halb krank dabei. Dann gingen wir den Weg zurück. Erst jetzt fiel uns auf, wie wenig wir auf den letzten Metern unseres Weges wahrgenommen hatten. Erst jetzt sahen wir die alten Häuser, die kleinen Kirchen und die engen Gassen. Nur mühsam fanden wir den Weg, wir hatten keinerlei Erinnerung mehr.
Und dann waren wir schon da – die Moskito Bar.
Und da waren Keith und seine Tochter Racel mit ihrem Freund Simon und natürlich Shae.
Wir freuten uns wie verrückt.
Die Bar war eine uralte Kneipe, wo der Wein direkt aus dem Faß gezapft wurde. Das war nun wirklich wild romantisch. Bezahlen durfte ich auch nicht, schließlich sei es mein Geburtstag und wäre das unmöglich!
Wir tranken Wein aus Sakke Schälchen – hatte ich bisher auch noch nicht getan.

 Simon meinte, mein Englisch wäre gut, obwohl ich immer wieder bat langsam zu sprechen. Aber wir verstanden gut. Dann bekamen wir wieder unsere allabendlichen Lachkrämpfe. Wir konnten uns gar nicht wieder beruhigen. So was schlimmes, die mussten wirklich denken, wir wären absolut gedopt. Aber egal was in diesem Sakke Schälchen war, ich wollte mehr davon!
Kurz bevor wir aufbrachen fragte mich Keith „And what woud you do with the Rest of your Life?“
Ich fand keine Antwort und er meinte, ich solle einfach darüber nachdenken.
Nun war ich mir restlos sicher, dass der uns geschickt worden war. 


Ein Mensch, der alles in einem verkörperte: Rock’n’Roll, Philosoph, Redner und Schweiger...
Das Trüppchen zog weiter und wir wünschten ihnen alles Gute.
Wir zogen durch das nächtliche Santiago und es zeigte sich wieder von seiner schönsten Seite. Noch ein Cafe musste sein, bevor wir endlich unser Abenteuer beenden konnten.
Glücklich und traurig schliefen wir ein.